Alasea 01 - Das Buch des Feuers
hinter ihr.
»Schnell!« rief Kral. Aber sein Drängen war überflüssig. Ni’lahn war bereits vom Dach gesprungen.
Das Wort »Lauft!« entfuhr ihren Lippen, als sie auf den Beinen aufkam. Bevor Kral seinen großen Körper in Bewegung setzen konnte, eilte sie zum Pferdestall hinüber. Sie flog wie ein flatterndes Blatt. Kral trabte hinter ihr her, wobei er Rockenheim vor sich her trieb.
Er hörte hinter sich Glas bersten und Bretter brechen. Er wandte sich im Laufen um und sah eine dunkle Gestalt, die sich durch das Fenster schob; Klauen kratzten über das strohgedeckte Dach. Anscheinend steckte das Wesen fest; doch so, wie es um sich schlug und zappelte, würde es bald frei sein. Er lief schneller und trieb Rockenheim weiter. Der Städter stolperte, doch Kral bekam ihn an der Schulter zu fassen und hielt ihn auf den Beinen.
Kral sah, dass Ni’lahn bereits im Pferdestall verschwunden war. Als er zu der schiefen Tür mit den verrosteten Scharnieren kam, hatte die Frau zwei der Pferde - die graue Stute des Mädchens und den kastanienbraunen Hengst des Mannes aus der Prärie - bereits im Schlepptau. Sein eigenes Schlachtross Rorschaff ließ die Frau nicht an sich heran und scharrte mit dem Huf im getrockneten Pferdemist. Seine schwarzen Flanken bebten vor Erregung; offenbar spürte es die Ungeheuer in seiner Nähe. Kral schnalzte zweimal mit der Zunge, und Rorschaff hielt die Hufe still.
Ni’lahn schwang sich auf den ungesattelten Rücken des kastanienbraunen Hengstes und zog die kleinere Stute an den Zügeln zu Rockenheim. Kral bemerkte zufrieden, dass sie die Stute und den Hengst mit einem Strick zusammengebunden hatte. Sie vertraute offenbar nicht darauf, dass der Gefangene freiwillig bei ihnen bleiben würde. Die Stute wehrte sich dagegen, dass Rockenheim sie bestieg, doch Kral stellte fest, dass die in der Garnison genossene Ausbildung des Mannes nichts zu wünschen übrig ließ. Er hielt sich auf dem Pferderücken und schaffte es, sich das Tier einigermaßen gefügig zu machen.
Kral warf seinen Sattel und seine Packtaschen auf Rorschaff und befestigte alles mit ledernen Riemen. Einen Herzschlag später saß er auf und klopfte auf die Taschen an seinem Schenkel. Sie fühlten sich voll an, was ihm verriet, dass sich niemand an dem Inhalt zu schaffen gemacht hatte.
Er ritt zur Stalltür und trat sie weit auf.
Eine große Gestalt stürzte vor ihm in den Schlamm. Sein Schlachtross, das fast ohne Zögern durch jedes Feuer gerannt wäre, bäumte sich auf und wieherte voller Angst. Kral verdrehte die Faust mit den Zügeln und gab sich alle Mühe, im Sattel zu bleiben.
Vor ihm stand mit weit ausgebreiteten Flügeln ein weiterer Scherge des Herrn der Dunklen Mächte. Das Skal’tum zischte und versperrte dem scheuenden Pferd den Weg. Schließlich ruckte Kral heftig an der Trense und brachte Rorschaff dazu, die Hufe am Boden zu lassen. Die anderen Pferde und Reiter waren immer tiefer in den baufälligen Stall zurückgewichen. Doch dieser bot ihnen keine Sicherheit - ein solches Ungeheuer ließe sich nicht von verfaulten und windschiefen Brettern aufhalten. Kral gab Rorschaff die Fersen, und zum ersten Mal, seit er zum Reittier erzogen worden war, verweigerte sich der Hengst diesem Befehl. Kral trat ihm noch fester in die Flanken. Das Pferd gehorchte nicht, war vor Entsetzen wie erstarrt.
Kral beugte sich im Sattel nach vorn, wobei sich ihm der Knauf in den Bauch bohrte, um so nahe wie möglich ans Ohr seines Pferdes zu gelangen. »Rorschaff, partu sagui weni sky«, schnalzte er in der Sprache der Gebirgspferde, einer Sprache, die die Bergbewohner so gut beherrschten wie ihre eigene. Kral war der beste Pferdeflüsterer seines Stammes. Einige behaupteten, er entstamme dem Geschlecht, das die Sprache der Gebirgspferde zur alltäglichen Verständigung benutzte. Dennoch, so fähig er auch war, bedurfte es all seiner Überredungskünste, um die Angst aus Rorschaffs Herz zu vertreiben und das Tier dazu zu bringen, ihm zu gehorchen.
Allmählich reagierte Rorschaff auf Krals Hände an den Zügeln. Kral stieß ihn in die Flanken, und der Hengst trat ein paar Schritte näher an das Skal’tum heran.
Die Ohren des gefiederten Ungeheuers zuckten vor und zurück, um die Lage abzuschätzen. Die Krallen an seinen Füßen hatten sich tief in den Boden gegraben. Grünlicher Schlick tropfte von den dolchspitzen Klauen, während er diese wie Fäuste ballte und wieder öffnete. Fangzähne zeigten sich zwischen den schmalen Lippen,
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