Alasea 01 - Das Buch des Feuers
Höhlenkammer. Er’rils Schwertarm zitterte. Hatte er die Kraft, sich diesem Ungeheuer zu stellen? Es stand hoch aufragend vor Er’ril, doppelt so groß wie er und um einiges breiter in den Schultern.
Plötzlich platzte eine vertraute Stimme los: »Dem Fels sei Dank, du lebst noch!« Er’ril kannte diese Stimme. Er sah Kral, der um das riesige Geschöpf herumschritt. Der Kreis der Kobolde, der jetzt durchbrochen war, löste sich vollends auf, und die Wesen stoben feige in alle Richtungen davon. In Er’rils Kopf verschwamm alles, als er den Kopf wandte. In der Kammer waren jetzt keine Kobolde mehr. Er sah, dass jene, die noch lebten, aus dem Raum schlurften oder humpelten, mit Ausnahme des missgestalteten riesigen Ungeheuers vor ihm. Er’ril sah, dass Kral ihm eine Hand auf den Arm legte. Der Mann aus den Bergen hatte offenbar das Entsetzen in Er’rils Augen bemerkt. »Sein Name ist Tol’chuk. Er ist ein Freund.«
»Wie… was…?« Er’ril war zu benommen, um seine Frage zu vollenden.
»Er ist ein Og’er. Er hat geholfen, dich zu retten.«
Bei Krals Worten fielen Er’ril seine Gefährten ein. Schwerfällig wandte er sich um und entdeckte Elena, die hinter dem Rücken ihres Onkels hervortrat. Bol hing die Kleidung in Fetzen herab; Blut befleckte ihm Gesicht und Brust. Während der Mondfalke immer noch im Kreis über ihnen schwebte, setzte der alte Mann zu einem schwachen Lächeln an. Er’ril sah zwei weitere Wesen, die sich zwischen den toten Kobolden bewegten. Der Wolf, der ihnen so beharrlich gefolgt war, schnupperte an den übel zugerichteten Überresten in der Nähe von Bol und Elena. Neben dem Tier stand ein hoch gewachsener Mann mit silbernem Haar, das zu einem langen Zopf geflochten war. Ein nadeldünnes Schwert lag ihm locker in der Hand, beinahe so, als ob er vergessen hätte, dass es vorhanden war. Seine Augen suchten die Höhlenkammer ab.
Er’ril kippte leicht nach vorn; plötzlich war ihm schwindelig. Bevor er aufs Gesicht fallen konnte, war Kral bei ihm und legte ihm einen Arm um die Schulter. »Sachte, sachte. Dich hat es ganz schön erwischt.«
Elenas Stimme war von der anderen Seite des Raums zu hören. Er’ril sah, wie ihre rechte Hand die Wunde an Bols Wange berührte; das Rot ihrer Hand passte zu dem Blut auf seiner Haut. »Onkel Bol ist ebenfalls verletzt!« rief sie ihnen zu.
Er’ril beobachtete, wie sich der dünne Fremde neben dem Mädchen plötzlich straffte. Das Schwert des Mannes, das zuvor vergessen und locker in seiner Hand gelegen hatte, hob sich und deutete auf Elena. »Das Zeichen!« rief er, und seine Augen starrten auf ihre Hand. »Das Zeichen der Hexe!«
Kral ließ Er’rils Schulter los. »Nein!« schrie der Mann aus den Bergen. Er’rils Beine waren zu schwach, um ihn aufrecht zu halten. Sie sackten unter ihm weg, und der Steinboden raste auf ihn zu. Er sah, wie Kral sich mit einem Satz auf den dünnen Mann stürzte, wusste jedoch, dass der Mann aus den Bergen zu weit entfernt war. »Nein, Merik! Nein!«
Er’rils Sicht verschwamm, als sich der Silberhaarige auf das Mädchen stürzte, flink wie eine Wildkatze. Elena hatte kaum Zeit, den Kopf zu wenden, als das Schwert nach ihrem Herzen zielte.
Bevor das Schwert zustach, raffte Er’ril eine kalte Schwärze hinweg.
36
Elena sah, wie sich das Schwert ihrer Brust näherte, und ihr Arm schoss in einer abwehrenden Bewegung hoch. Die Gestalt ihres Angreifers war ein verschwommenes Gewirr von Bewegungen, dem sie mit den Augen kaum folgen konnte. Nur sein Schwert glänzte scharf im schwachen Licht. Ein tiefes Schluchzen stieg ihr in der Kehle hoch, doch die Angst hielt es gefangen. Sie öffnete den Mund zu einem lautlosen Schrei.
Ein wirklicher Laut drang ihr stattdessen ans Ohr - ein gellendes Wutgeheul. Gerade als das Schwert zustoßen wollte, flitzte ein Lichtstreifen zwischen sie und die Schwertspitze - der Mondfalke! Und sie sah, wie der Vogel sich auf der Klinge aufspießte; sein Kreischen hallte von den Wänden wider.
Der Aufprall des kleinen Körpers schien das Schwert zu erschüttern und den Angreifer zu lähmen. Der Mann hielt mitten im Hieb inne, die Beine schwankten unter ihm. Er hielt das Schwert ausgestreckt, die Waffe zitterte in seiner Hand. Ihre Spitze war weniger als eine Daumenbreite von dem dünnen Stoff über Elenas Brust entfernt. Der Mondfalke, dessen Brust durchbohrt worden war, flatterte schwach mit den Flügeln, sein Schnabel klaffte vor Schmerz weit auf. Der
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