Alasea 01 - Das Buch des Feuers
blutüberströmt zu seinen Füßen; sein Vater war längst am Boden erkaltet.«
»Süße Mutter!«
Einige der Stadtleute drückten sich mit dem Daumen gegen die Stirn, eine Geste zur Abwehr des Bösen.
»Und das Mädchen, sie hatte bereits die Scheune und das Wohnhaus in Brand gesteckt. Der Junge kam bei unserem Erscheinen mit der Axt auf uns zu. Ich war gezwungen, den blinden Seher zu beschützen und zurückzuweichen.«
»Wie konnte das nur geschehen?« fragte der Kutscher, die Augen vor Fassungslosigkeit weit aufgerissen. »Ich kenne die Kinder… sie sind mir immer sehr nett vorgekommen, höflich, ohne nennenswerte schlechte Eigenschaften.«
Dismarum ergriff jetzt zum ersten Mal das Wort; er hob die Kapuze und wandte das Gesicht dem Fackellicht des Wagens zu. »Dämonen. Böse Geister haben sich ihrer Herzen bemächtigt.«
Jetzt hob fast jeder Insasse des Wagens den Daumen an die Stirn. Ein Mann sprang sogar vom Wagen und rannte zurück zur fernen Stadt. Seine Schritte verhallten in der Nacht.
»Bringt sie mir unversehrt«, fuhr der Seher fort. »Tötet sie nicht, sonst entweicht das Böse aus ihren sterbenden Herzen - vielleicht zu einem eurer Kinder. Seid auf der Hut.« Dismarum senkte die Kapuze und hob die knochige Hand, um Rockenheim weiterzutreiben.
Rockenheim gab seinem Pferd die Sporen. Dismarums Fohlen folgte. Rockenheim rief den verwirrten Insassen des Wagens hinter ihnen zu: »Verbreitet die Kunde! Macht euch auf die Suche! Bringt die besessenen Kinder in die Garnison!«
Sobald der Wagen hinter einer Straßenbiegung außer Sicht war, veranlasste Rockenheim sein Pferd zu langsamerer Gangart, bis er neben Dismarum ritt. »Die Falle ist ausgelegt«, sagte er zu dem Alten.
Dismarum schwieg. Plötzlich brach das Schlagen von Flügeln, die an Leder erinnerten, über den Baumwipfeln hervor. Die beiden duckten sich, als es über sie hinwegzog. Es zog seine Bahn weiter auf die Stadt zu. »Wir wollen hoffen, dass es eine gelungene Fallenstellung ist«, murmelte Dismarum, während der geflügelte Schrecken in der Morgendämmerung im Osten verschwand.
Elena ritt hinter Joach; die Arme hatte sie ihm um den Leib geschlungen, während der Bruder Nebelbraut durch den Fluss Tausendkrumm führte. Das Pferd stapfte platschend durch den breiten, flachen Fluss, wobei das Wasser gelegentlich so hoch aufspritzte, dass es Elenas Waden benässte. Die kalte Berührung des Wassers brachte ihr den bevorstehenden Winter in den Sinn. Doch Nebelbraut wieherte lebhaft - anscheinend besänftigte das Wasser die Angst des Pferdes.
»Auf der anderen Seite müssten wir eigentlich in Sicherheit sein«, sagte Joach, dessen Stimme vor Müdigkeit und wegen des Rauchs heiser klang. »Der Fluss ist breit, und ich bezweifle, dass das Feuer diese Entfernung überspringen kann. Wenigstens hoffe ich das.«
Elena schwieg. Auch sie hoffte es. Hinter ihnen breitete sich das Feuer wie die Finger einer Hand überall im Obsthain aus, auf der Suche nach ihnen. An einem Punkt hatte sie das Feuer beinahe erreicht, in einer ausgetrockneten Wasserrinne zwischen zwei Hügeln. Sie waren gezwungen gewesen, auf Nebelbraut aufzusteigen und auf dem gleichen Weg zurückzugaloppieren, auf dem sie gekommen waren, und nur mit knapper Not waren sie den Flammen entkommen. Doch zum Glück war kein Anzeichen von dem geflügelten Untier mehr erschienen.
Als sie zum Fluss Tausendkrumm gelangten, war der Mond bereits untergegangen, und im Osten kündete ein fahler Schimmer den Morgen an.
»Joach«, fragte sie, »wie weit ist es noch bis Winterberg?«
»Ich weiß es nicht genau. Könnte ich doch nur ein paar vertraute Wegmarkierungen durch diesen verdammten Rauch sehen! Aber trotzdem würde ich sagen, wir müssten die Stadt eigentlich bei Tagesanbruch erreichen.«
Joach stieß Nebelbrauts Flanken sanft mit den Fersen an, um sie zu ermutigen, die Böschung zum trockenen Flussufer hinaufzusteigen. »Von jetzt an sollten wir besser neben ihr hergehen.« Er rutschte von der Stute und half Elena beim Absteigen.
Als sie am Boden ankam, wäre sie beinahe auf die Knie gesunken, so müde waren ihre Beine. In ihren Füßen pochte das Blut, und alle ihre Gelenke zitterten vor Erschöpfung. Sie fühlte sich am ganzen Körper wund, als ob ihr jemand die Haut abgezogen hätte.
Joach stützte sie. »Wir könnten eine kurze Rast einlegen, Schwesterchen.«
Sie wischte sich durchs rußverschmierte Gesicht und nickte. Dann taumelte sie zu einem moosbewachsenen Stein am
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