Alasea 01 - Das Buch des Feuers
ihr. Er war unfähig zu sprechen.
Der Metzger trat aus der Menge zu ihnen. Er streckte die Hand nach Elena aus. Joach versuchte dazwischenzutreten, wurde jedoch von einer fleischigen Hand weggestoßen. Elena sah, dass Blut aus den Lippen ihres Bruders quoll, als er auf die Knie fiel. Der Metzger riss ihr die Jägermütze vom Kopf und enthüllte den herabfallenden Wust roter Haare. »Seht nur!« rief er. »Seht euch die Hexe an! Das ist der Dämon, der unser Land zerstört und ordentliche Leute umgebracht hat! Lasst euch von ihrem hübschen Gesicht nicht täuschen.«
Der Metzger fuhr ihr mit einem Finger über die Wange und zur Kehle hinunter. »Oder von ihrem unschuldigen Körper!« Plötzlich packte er ihr Hemd und riss es auf. Knöpfe tanzten über die Pflastersteine.
Elena schrie bei diesem Übergriff laut auf.
Die Menge sog hörbar die Luft ein. Joach bemühte alle seine Kräfte, um zu dem Mann zu gelangen, aber kräftige Hände hielten ihn fest.
Der Metzger fuhr mit einem Finger über die nackten Knospen ihrer Brust. »So unschuldig - dem äußeren Schein nach!« Seine Stimme war jetzt heiser und belegt. »Aber so voll von bösen Lüsten!«
Er wandte sich jäh von Elena ab. »Ich spüre, wie das Böse in ihr wurmgleich in mich hineinkriechen will, indem es mich mit unreinen Gedanken in Versuchung führt.« Er drehte sich wieder zu Elena um. »Zurück, Hexe! Du wirst mich nicht betören, so wie du es mit deinem Bruder gemacht hast.« Der Metzger hielt sich die Hand vor die Augen und wich vor ihr zurück.
Die Menge beobachtete gebannt dieses Schauspiel, bis sich Tante Fila vordrängte. »Genug!« brüllte sie der Menge zu. Sie eilte zu Elena und zog ihr das zerrissene Hemd eng um die Brust. Elena roch den Duft von Mehl und Zucker auf der Schürze ihrer Tante. Offenbar hatte sie in der Küche gearbeitet, als die Stadt sich erhoben und ihre Bäckerei niedergebrannt hatte. Elena lehnte sich in die Umarmung ihrer Tante.
Tante Fila sah in die Menge. »Sie ist doch noch ein Kind!
Seht ihr denn nicht, wie groß ihre Angst ist? Fürchtet sich ein Dämon etwa vor Fesseln und gewöhnlichen Sterblichen? Welchen Beweis gibt es, dass sie irgendetwas verbrochen hat? Nur Geschwätz und Gerüchte! Mehr nicht.«
Die Menge raunte immer noch wütend. »Die Obsthaine!« rief jemand. »Wir haben fast ein Viertel der Ernte verloren!«
Tante Fila ließ sich nicht beirren. Sie schob sich eine graue Locke aus dem Gesicht. Ihre Worte waren kalt wie Eis aus den Bergen. »Ich habe heute mehr verloren als ihr alle zusammen. Mein Sohn wurde grausam ermordet, als er versuchte, meinen Laden zu retten! Es war nicht das Kind, das mir heute Schaden zugefügt hat, es war der Wahnsinn!«
Sie deutete mit dem Finger auf mehrere der Städter. »Was würdest du sagen, wenn dies dein Kind wäre? Oder deins, Gergana? Hört auf mit diesem Wahnsinn! Blickt in eure Herzen!«
Ihre Worte bezwangen die Menge.
»Ich kenne dieses Mädchen und diesen Jungen. In ihnen steckt nicht das geringste Böse! Auch ihr kennt sie. Wann hätte eines der beiden je etwas anderes als gutes Betragen und ein freundliches Wesen an den Tag gelegt?«
»Pfui!« schrie der Metzger. »Wir alle haben Dinge gehört, die bezeugen, dass sie ein seltsames Kind ist, das sich ganz allein in den Wäldern herumtreibt. Mit Dämonen im Bunde, daran besteht kein Zweifel! Gerade in diesem Augenblick versucht sie, mich zu verhexen.«
»Lügen!« Tante Fila deutete mit dem Finger auf den Metzger, die Lippen vor Zorn gespannt. »Da steckt das Böse! Sein Benehmen zeugt von der eigenen Verderbtheit - nicht von der Bosheit der Kinder. Ein kleines Mädchen auf diese Weise anzugreifen! Das ist das Böse, nicht das Kind!«
Unterdessen hatten sich viele Augen dem Metzger mit Abscheu zugewandt. Selbst Elena gestattete sich einen kleinen Hoffnungsschimmer - vielleicht konnte Tante Fila diesen Wahnsinn besiegen. Doch dann hörte sie Worte hinter sich, gesprochen von einer Stimme, die aus einer modrigen Gruft zu kommen schien, einer vertrauten Stimme.
»Gute Frau, tretet von dem Mädchen zurück. Sie hat euch getäuscht, hat euch alle getäuscht. Sie ist wirklich eine Hexe, und ich liefere euch den Beweis!«
Elena fuhr jäh herum und sah die Kapuzengestalt des alten Mannes, der ihre Eltern ermordet hatte. Soldaten standen hinter ihm. Elenas Knie wurden schwach, als sich seine toten Augen auf sie richteten.
Auf seinen Stab aus Poi’holz gestützt, humpelte er zu ihr. »Tretet zurück!«
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