Alasea 01 - Das Buch des Feuers
zischte er plötzlich die Menge an.
Tante Fila missachtete ihn und trat zwischen den gekrümmten Alten und Elena. »Du! Du warst derjenige, der die Kinder beschuldigt hat!«
Elenas Zunge war gelähmt vor Angst. Sie stieß den Arm ihrer Tante mit dem Ellenbogen an, in dem Versuch, sie vor dem Mann zu warnen, doch ihre Warnung kam nicht an.
Der Alte schwenkte den Stab zu seinem dunklen Partner. »Rockenheim, entferne dieses Kind von hier, bring es in die Garnison. Dort werden wir unser Verhör durchführen und den Beweis für ihr dämonisches Herz erbringen.«
Rockenheim trat vor, flankiert von vier Wachmännern.
Tante Fila packte Elena bei der Schulter und zog sie weg, zur Menge hin. »So wie ihr es vor zwei Jahren mit der Tochter der Seschas gemacht habt. Ihre Schreie klingen mir noch heute in den Ohren.« Tante Fila hob einen Arm und schwenkte ihn zur Menge. »Wer ist willens, ein weiteres Kind diesen Ungeheuern zu überlassen? Dies ist unser Tal, unsere Stadt!«
Um Elena herum ertönten unter den Städtern Echos auf die Worte ihrer Tante. Elenas Herz regte sich, befreite die Zunge. »Tante Fila! Dies sind die Männer, die unsere Mutter und unseren Vater ermordet haben!«
Die Menge hörte die Worte, und die Versammelten schnauften wie ein Mann auf.
Rockenheim und die vier Soldaten hielten inne, während sich bei den Leuten Angriffslust ausbreitete. Einige Städter zogen ihre Messer. Elena sah, wie der Schneider der Stadt Joachs Seile durchschnitt. Dieser rannte zu Elena und löste ihre Fesseln. Nachdem sie befreit war, rieb sie sich die aufgescheuerten Handgelenke.
»Ich habe dir doch gesagt, Tante Fila hilft uns«, sagte er mit gerötetem Gesicht.
Elena bemerkte, wie sich Tante Filas Augen beim Anblick ihrer gefleckten rechten Hand weiteten. Die Tante griff danach und bedeckte den Fleck. »Zeig dies niemandem!« flüsterte sie ihr schnell zu und zog den überlangen Hemdsärmel über Elenas Hand. Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem sich anbahnenden Streit zu.
Die Soldaten traten ein paar bedrohliche Schritte nach vorn, waren jedoch den Städtern zahlenmäßig weit unterlegen.
»Lasst das Kind in Ruhe!« brüllte jemand.
Ein anderer hob ein Messer hoch und schrie: »Schützt das Kind!«
Tante Fila beugte sich an Elenas Ohr. »Jetzt bist du sicher, Liebes. Hab keine Angst mehr. Ich werde es nicht zulassen, dass sie unserer Familie weiteren Schaden zufügen.«
Doch Elena hörte die Worte ihrer Tante kaum. Ihr Augen waren starr auf den alten Mann gerichtet. Sie sah, wie er den Stab hob und damit zweimal auf die Pflastersteine klopfte. Niemand sonst nahm Notiz von der Handlung des gebrechlichen Alten. Aber Elena erinnerte sich an dieses Zeichen. Es war dasselbe, mit dem er die weißen Würmer herbeigerufen und auf sie und ihren Bruder angesetzt hatte.
»Nein!« Elenas Stimme klang schrill. Sie umklammerte Joachs Arm so fest, dass er aufschrie. »Wir müssen weglaufen!«
Aber es war bereits zu spät.
Jemand in der Menge stieß ein Kreischen des Entsetzens aus. Alle Augen richteten sich zum rauchgefleckten Himmel hinauf.
Über die Dachfirste kam es daher. Weite Schwingen schlugen in der Luft. Elena erkannte den an Leder gemahnenden Flügelschlag. Die Laute glichen unverkennbar denen des Ungeheuers, das sie während der nächtlichen Flucht durch den brennenden Obsthain gequält hatte. Jetzt, da es sichtbar war, wünschte Elena die Dunkelheit wieder herbei, um ihren Augen den abscheulichen Anblick zu ersparen. Allein schon von dem Bild fühlte sie sich im Geist beschmutzt.
»Seht!« rief ein Mann im Umhang. Er deutete mit dem Arm und enthüllte dabei einen glatten Stumpf, wo einmal seine rechte Hand gewesen war. »Da ist ihr Dämonengefährte! Er kommt, um sie zu retten.«
Die Menge brach in lautes Schreien aus und floh, während das Ungeheuer auf Elena herabstürzte. Nur Joach und ihre Tante blieben bei ihr, als das Wesen mit den krallenbewehrten Gliedmaßen auf den Pflastersteinen landete. Durch die Haut hindurch sah man schwarzes Blut, das in dicken Strömen strudelte. Es legte die Flügel nach hinten an und stieß ein zischendes Schnauben in Richtung der Leute aus, die sich in Türeingängen und hinter Warenauslagen zusammengedrängt hatten. Dann schwenkten die giftigen schwarzen Augen, schimmernd vor Bösartigkeit, zu Elena hinüber.
Tante Fila trat zwischen sie und das Ungeheuer. »Lauft weg, Kinder!« raunte sie, das Gesicht dem Geschöpf zugewandt. »Sucht euren Onkel Bol!« Noch
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