Alasea 03 - Das Buch der Rache
Nebel verbarg den Wächter gut in der dunklen Nische. Trommeln und das Geklimper einer schlecht gestimmten Laute begleiteten das raue Gelächter hinter den verschlossenen Türen der Herberge. Über dem Türsturz beleuchtete eine Laterne ein verblasstes Schild, auf dem Herberge zum Wolfsbau geschrieben stand.
»Wir sind gekommen, um mit Tyrus zu sprechen«, sagte Jaston. Mikela stand neben dem Sumpfmann. Sie hatten die Gefährten in der Nähe des Hafens zurückgelassen. Tol’chuk und Kral agierten dort als Wächter. Der Herzstein des Og’ers hatte sie an den Rand des Wassers geführt und drängte mit seinem feurigen Glühen aufs Meer hinaus. Aber um dem Stein weiter folgen zu können, brauchten sie ein Boot. Nach einer hitzigen Debatte hatten sie entschieden, dass Mikela und Jaston den Kastenmeister des Hafens aufsuchen sollten, um ein kleines Schiff und eine Mannschaft anzuheuern. Der Titel des Kastenmeisters diente allerdings nur als ehrbare Fassade, hinter der sich in Wirklichkeit der blutrünstige Anführer der Piraten Port Rauls verbarg. Im Hafen von Port Raul konnte niemand ein Geschäft abschließen, ohne eine angemessene ›Gebühr‹ an diesen Banditen zu bezahlen.
»Was habt ihr zu so später Stunde mit Meister Tyrus zu besprechen?«
Mikela schnaubte. Für gewöhnlich tätigten alle Piraten in Port Raul ihre Geschäfte unter dem Deckmantel der Mitternachtsstunde zumeist bei vielen Flaschen Bier in rauchigen Tavernen wie dieser. »Das geht dich nichts an«, antwortete sie barsch.
»Gut. Also behaltet es für euch. Aber solltet ihr Tyrus wegen einer nichtigen Angelegenheit belästigen, wird er euch die Zungen herausschneiden und sie euch zurückgeben, dann könnt ihr selbst zusehen, was ihr damit macht. Mit ihm ist nicht zu spaßen.«
»Wir wissen deine Warnung zu schätzen«, antwortete Mikela und warf eine Silbermünze in die dunkle Nische. Die Münze verschwand, traf jedoch nicht auf den Stein der Veranda. Mit Silber kann man das Wohlwollen eines jeden Piraten erkaufen. Daraufhin ertönte ein lautes Klopfen, ein Schwertheft pochte gegen Holz. Es handelte sich offenbar um ein verabredetes Geheimzeichen. Ein kleines Guckloch öffnete sich in der Tür. »Tyrus hat Besuch«, verkündete der Wächter. »Fremde… Sie haben Silber.«
Die winzige Klappe schnappte zu, und die Tür schwang auf. Eine Welle von Gelächter und Musik schwappte aus dem Innern der Taverne heraus und brachte den Geruch von Pfeifenrauch und ungewaschenen Körpern mit sich. »Geht hinein«, meinte der Wächter. Im blakenden Licht der Fackeln erblickten sie nun zum ersten Mal sein Gesicht. Ein dunkelhäutiger Mann, dessen Antlitz nicht weniger vernarbt war als das von Jaston. Er zwinkerte Mikela lüstern zu, als sie vorbeiging.
Sie lächelte ihn an aber nicht freundlich, sondern um die stählerne Härte hinter ihrem hübschen Gesicht zu zeigen. Er wandte den Blick rasch ab und schloss die Tür.
Die Augen nach vorn gerichtet, blickte Mikela in den Raum. In der Schänke standen viele derbe Tische dicht aneinander gedrängt. Sie schienen aus den Planken alter Schiffswracks gezimmert zu sein. An ein paar Tischen konnte man sogar noch die Namen der Schiffe lesen: Singender Schwan, Esymethra und Lutfischflosse. Mikela nahm an, dass es nicht immer nur Stürme gewesen waren, die diese Schiffe hatten sinken lassen. Sie schienen eher so etwas wie Trophäen zu sein, und Mikela vermutete, dass die Geschichten dazu sehr blutig waren. An den Tischen saßen harte Männer aus allen Teilen Alaseas und den Ländern jenseits davon. Mikela erkannte dunkelhäutige Krieger aus den Südlichen Ödlanden, tätowierte Steppenbewohner mit Nasenringen, Riesen mit buschigen Augenbrauen, die für gewöhnlich durch die Bröckelberge streiften, und sogar zwei blasse, spindeldürre Stammesbrüder der Yunk waren anwesend die von der fernen Insel Kell stammten. Es schien, als wäre der Abschaum eines jeden Landes hier in Port Raul an Land getrieben worden.
So bunt gemischt die Gruppe von Männern auch sein mochte sie alle hatten zwei Dinge gemeinsam: harte, berechnende Augen auch wenn die Lippen lachten und die Narben. Nicht ein Gesicht war frei von entstellenden Schnitten und Brandwunden, einige Verletzungen sahen erschreckend frisch aus.
Mikela folgte ihrem Freund Jaston durch den Raum und bemerkte, dass es nicht nur Männer waren, die da an den Tischen saßen. Mikela erschrak so, dass sie über ihre eigenen Füße stolperte. Die kleine Schlange an ihrem
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