Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
blutig rot färbte. Erst bei näherem Hinsehen erkannte Kesla, dass der Schein nicht flackerte, sondern eher pulsierte wie ein riesiges Herz.
Die vier sahen sich an. Dann trat Joach vor und übernahm die Führung. Sie gingen langsam weiter und blieben oft stehen, um zu lauschen. Kein Laut war zu hören. Es war, als hätten sie den ganzen Südwall für sich allein.
Joach streckte sein Schwert vor sich aus und schlich an der Wand entlang, bis sie die Biegung erreichten. Dort blieb er stehen und bedeutete den anderen mit Gesten, sie sollten zurückzubleiben, er wolle allein vorausgehen. Als alle beisammen waren, holte er tief Atem, fasste das Schwert fester und bog um die Ecke.
Kesla lehnte sich gegen die Sandsteinmauer, nagte nervös an ihrer Unterlippe und malte sich alle möglichen Schrecken aus.
Joach war schon nach kurzer Zeit wieder da. »Der Tunnel endet in einer Höhle. Dort ist niemand.« Man hörte ihm die Erleichterung deutlich an.
»Und das Wehrtor?« fragte Kast.
»Wir haben es gefunden. Das Basilisken Tor steht in der Mitte.« Joach drehte sich um. »Gehen wir.«
Gemeinsam eilten sie um die Tunnelbiegung. Tatsächlich lag am Ende des Ganges eine Grotte. Sie war kreisrund, und an den Wänden hingen vier Fackeln, deren Flammen in gleichmäßigem Rhythmus wuchsen und schrumpften. So entstand der pulsierende Lichtschein.
Joach bemerkte, wie Kesla die Fackeln beobachtete. »Das muss etwas mit dem Wehrtor zu tun haben.«
Kesla nickte. Eine einleuchtende Vermutung, die allerdings nicht erklärte, warum sie an beiden Armen eine Gänsehaut bekam und immer stärker das Gefühl hatte, schon einmal hier gewesen zu sein. Mit jedem Schritt, den sie tat, drängten mehr alte Erinnerungen ans Licht. Am liebsten hätte sie kehrtgemacht und wäre geflohen. Da drinnen wartete etwas auf sie und nicht nur das Wehrtor allein.
Als sie den Eingang erreichte, blieb sie stehen. Sie konnte sich nicht überwinden, die Höhle zu betreten, sondern spähte nur von draußen hinein.
In der Mitte stand die Skulptur eines schwarzen Ungeheuers auf dem sandigen Boden. Die Oberfläche war zwar glatt, aber der Schein der Fackeln spiegelte sich nicht darin, sondern wurde verschluckt. In der Höhle herrschte eine Kälte, die für die Wüste ganz und gar ungewöhnlich war. Es war, als hätte der schwarze Stein alle Wärme in sich aufgesogen.
Kesla starrte die Bestie an, unter der ihr Volk jetzt und in früheren Zeiten so sehr gelitten hatte. Einerseits sah sie aus wie ein hässlicher Aasvogel mit scharf gekrümmtem schwarzem Schnabel, einem Kragen aus schwarzen Federn und spitzen Krallen, die sich tief in den Sand gruben. Doch der Rest ihres Körpers war mit Schuppen bedeckt und eingerollt wie ein Schlangenleib. Die Haltung wirkte angespannt, als wollte das Ungeheuer jeden Augenblick zustoßen. Die rubinroten Augen glitzerten hasserfüllt und schienen sich nur auf sie zu richten.
Joach drehte sich um. »Den Nachtglasdolch«, zischte er. »Bringen wir es hinter uns.«
Kesla schluckte krampfhaft. Sie wagte sich nach wie vor nicht in diese Höhle, doch sie wusste, dass sie keine andere Wahl hatte. Der Weg war ihr von Geburt an vorgezeichnet. Und als sie den Fuß über die Schwelle setzte, stieg eine weitere, tief vergrabene Erinnerung an die Oberfläche. Sie stolperte. Eine ganze Serie von Bildern zog an ihr vorüber: Bäume, die im Abendwind schwankten, der Mond, der sich in einem stillen Teich spiegelte, eine Ansammlung von Sandsteinhäusern, quaderförmig wie die Bausteine eines Kindes und noch etwas: eine schwarz vermummte Gestalt, die auf sie zukam. Sie schloss die Augen, rang nach Luft, Schwindel erfasste sie. Plötzlich lag sie auf den Knien im Sand, ohne dass sie gemerkt hätte, wie sie die Besinnung verlor.
Joach war bereits an ihrer Seite. »Kesla!«
Sie sah sich um. Jetzt erst nahm sie ein Stück vor ihren Knien eine Pfütze aus schwarzem Glas wahr. Sie breitete sich unter dem Basilisken aus, als wäre aus dem Krummschnabel blutiger Speichel getropft und hätte den Sand besudelt. Die Pfütze bestand aus Nachtglas wie ihr Dolch und wie der Aii’schan. Kesla spürte, wie ihr die letzten Kräfte schwanden. Der kleine Tümpel ängstigte sie mehr als das Monster, das ihn überragte.
»Den Nachtglasdolch«, drängte Joach.
Zum Aufstehen fehlte ihr die Kraft, also nickte sie nur, zog die gläserne Klinge aus der Scheide und streckte sie Joach entgegen. »Tu du es. Ich kann es nicht … Etwas … etwas …« Sie schüttelte den
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