Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Albspargel

Albspargel

Titel: Albspargel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günther Bentele
Vom Netzwerk:
übersehen, so dass er mit offenem Mund und angehaltenem Atem zugehört hatte.
    Manches davon hatte er erst viel später verstanden. Nachts hatte er oft nicht schlafen können; er hatte schreckliche Träume von Dingen, die er nicht verstand. Er wusste nur, dass das Mädchen Amelie aus Tigerfeld tot war und dass der Mann, der das gemacht hatte, nie gefunden worden war. Er hatte sich also nachts in seine Träume schleichen können. Nie hatte er jemandem von diesen Träumen erzählt, auch nicht der Mutter oder dem Vater, weil dann herausgekommen wäre, dass er heimlich zugehört hatte. Er hatte auch mitbekommen, dass Dr. Fideler – er entschuldigte sich an dieser Stelle – der Täter sei. Aber die Polizei tauge nichts, habe es überall geheißen. Er hätte das auch gerne geglaubt, aber er habe es ja besser gewusst.
    »Denn ich weiß, dass Sie das Verbrechen nicht begangen haben.«
    »Warum nicht?«, fragten Dr. Hagenbach und ich wie aus einem Mund.
    »Weil Amelie nicht mit Ihnen in das Hart gegangen ist, sondern mit einem ganz anderen Mann.«
    »Mit wem?«, fragten wir.
    Mein Herz begann zu rasen, der ganze Körper spannte sich.
    Hans Egle hielt die Hände verkrallt. »Leider, das weiß ich nicht. Sonst hätte ich es schon längst der Polizei gesagt. Ist ja klar. Aber ich wusste es nicht, und ich weiß es bis heute nicht. Aber gesehen habe ich ihn.«
    Er war mit seiner Oma und seiner sechsjährigen Base Anneliese auf dem Rückweg von Kettenacker. Sie hatten dort die alte Tante Trudel besucht und wanderten durch den Kettenacker Wald und über den Kettenacker Weg zurück nach Tigerfeld.
    Sie waren müde. Es war spät geworden, die Dämmerung überfiel sie schon im Kettenacker Wald lange vor dem Hart, sie hatten noch fast eine Stunde vor sich. Unter einem gelben Himmel und aus den schwarzen Wäldern um das Hart und den Alten Hau griff die Angst nach ihnen. Sie kannten die Geschichten vom toten Vieh im Hasental. Von dort stieg der Nebel auf und breitete sich aus, so dass die Kinder nur noch die einsame Birke auf dem Butzenstein sehen konnten.
    »Da grüßte meine Oma plötzlich jemand, der uns entgegengekommen war. Ob ich die Schritte zuvor gehört hatte, weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall bin ich zusammengefahren, als meine Oma plötzlich jemand grüßte, während wir Kinder in den Nebel starrten und an den Teufel dachten. Denn meine Oma hatte auch gesagt, dass der Nebel im Hasental eigentlich Rauch ist, der aus der Hölle aufsteigt.«
    Es war ungewöhnlich, zu dieser Tageszeit noch Menschen im Esch zu sehen. Die Leute waren daheim in ihren Ställen und fütterten das Vieh.
    »Wir standen noch eine ganze Weile und schauten den schwarzen Gestalten nach, es waren zwei. Soweit ich in der Dämmerung erkennen konnte, waren es ein Mann und eine Frau, die wir nur von hinten sahen. Sie schritten in die Dunkelheit.«
    Die Kinder fragten natürlich, wer das war. Die Oma schüttelte aber nur den Kopf und sagte etwas von Ungehörigkeit. Dann waren sie weitergegangen. Dass die Oma mit der Ungehörigkeit nicht die Fragen der Kinder meinte, hatte Hans Egle erst viel später begriffen.
    »Dass es eine junge Frau war, die wir gesehen hatten, wurde mir noch am selben Abend bewusst. Ich glaube, das ist wichtig, dass es mir noch vor dem nächsten Tag klar wurde.« Egle blickte uns fragend an.
    »Sehr wichtig«, sagte mein Kollege.
    Ich brachte kein Wort heraus.
    »Ich glaube, dass es an ihrer hellen Stimme lag, als sie zurückgrüßte.«
    Ich schwieg. Am anderen Tag gegen neun fand man im Hart auf einem Acker unserer Familie die tote Amelie. Nicht ihre Familie hatte mich benachrichtigt, sondern die Polizei. Zum Glück trat zuerst die Betäubung ein, als ich die Nachricht hörte, dann der Schmerz, in dem die Welt unterging.
    »Ich war zu klein«, fuhr Hans Egle fort, »und habe die übrigen Ereignisse erst viel später zusammengebracht.«
    Hans Egle aus Pfronstetten hatte meine Amelie mit ihrem Mörder gesehen!
    Das meinte auch Dr. Hagenbach. »Und? Lässt sich denn gar nichts sagen, die Größe, die Gestalt, die Bewegungen, kam der Mann Ihnen bekannt vor? Das sind alles Fragen von Bedeutung.«
    »Eines kann ich mit Bestimmtheit sagen: Sie, Herr Dr. Fideler, waren es nicht. Sie sind sehr lang und hager. Ich habe Sie oft gesehen. Der Mann war breiter, stämmig würde ich sagen, kräftig und nicht viel größer als das Mädchen und – nein, da bin ich ganz sicher: Sie waren es nicht. Der Mann, den ich nur von hinten gesehen habe, man sieht

Weitere Kostenlose Bücher