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Aldebaran

Aldebaran

Titel: Aldebaran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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nichts«, sagte sie. »Wir sind hier, und der Rest der Welt existiert nicht. Glaubst du nicht?«
    »Glaubst du das?«
    Sein Glied schwoll unter Stellas Fingern an.
    »Ich glaube, wir sind hier, um zu vergessen.«
    Er musste wieder an Diouf denken.
    »Vergessen«, hatte er gesagt, »ich glaube nicht, dass das im Leben nötig ist. Ich glaube übrigens auch nicht, dass man das kann.«
    »Welchen Rat geben Sie mir also?«
    »Ich habe Ihnen keinen Rat zu geben. So wenig wie ein Schicksal vorauszusagen.«
    »Bezahle ich Sie umsonst?«
    »Wenn man zahlt, ist es nie umsonst.«
    Wie bei Stella.
    Ja, er wusste, dass er nicht vergessen könnte. Aber er spürte, dass bestimmte Dinge im Tiefsten seines Inneren, Dinge, die er sich nie einzugestehen vermochte, die ihm seit Jahren anhafteten, sich Stück für Stück von ihm lösten und entschwanden. Er sah Stella an. Ihre Finger bearbeiteten seinen Schwanz mit aufreizender Langsamkeit.
    »Gefällt dir das?«
     
    Er hatte nicht gewartet, bis Stella aufwachte. Außerdem schlief sie vielleicht gar nicht. Egal. Er hatte sie bezahlt. Er hatte ihr zugehört. Er hatte mit ihr geschlafen. Er schuldete ihr nichts. Nicht mal ein »Auf Wiedersehen«.
    Er hatte sich schweigend angezogen. Einen letzten Blick auf ihren Körper geworfen. Wie man einen Toten betrachtet, bevor der Sarg sich schließt. Das wars. Er schloss den Deckel über seiner Vergangenheit. Dort an Stellas Seite in den noch von seinem Schweiß feuchten Falten der Laken ließ er seine alte Haut, seinen Kadaver zurück.
    Jetzt konnte kommen, was wollte, es spielte keine Rolle mehr. Er ging den Cours Julien hinunter bis zur Canebière. »Man darf nicht verzweifeln«, hatte Diouf noch gesagt. »Die Zukunft ist eine Welt, die alles enthält.«

19 Hauptsache, man kommt ohne Schaden davon
    Vor seiner Kabinentür sprangen ihm sofort die Kakerlaken in die Augen. Drei riesige, schwarze Kakerlaken. Abscheulich. Sein Magen zog sich zusammen. Kakerlaken hasste Diamantis mehr als alles andere auf der Welt. Es ist so weit, dachte er, da sind sie … Bestimmt hatten sie das ganze Schiff verseucht und würden überall herumhuschen. Diese gemeinen Viecher verstanden es, immer dort aufzutauchen, wo man sie am wenigsten erwartete. Unter dem Teller. In einem Sack Reis. Oder mitten im Bett. Ekelhaft.
    Wütend trat er nach ihnen, versuchte aber nicht, sie zu zertreten. Zermatschen konnte er sie nicht. Das Knirschen ihres Panzers unter seinem Fuß verursachte ihm eine schauerliche Übelkeit.
    Vorsichtig öffnete er die Tür. Als ob tausende von Kakerlaken ihm ins Gesicht springen oder auf Kopf und Schultern regnen könnten. Schon der Gedanke jagte ihm eine Gänsehaut ein. Aber er sah keine. Er schüttelte das Laken, hob Matratze und Kissen an, zog sich schließlich aus und legte sich hin. Er war erschöpft.
    Wenn Mariette nicht gleich weitergefahren wäre, hätte er möglicherweise die Gelegenheit genutzt und wäre mit ihrem Wagen zu dem von Amina vereinbarten Treffen gefahren. Aber vielleicht war es so besser. Er brauchte Ruhe. Seine geschundenen Muskeln verbreiteten einen stechenden Schmerz im ganzen Körper. Der Schmerz tilgte alle anderen Gefühle. Müdigkeit und Schmerzmittel hatten ihn in eine Art gedankenloser Trance versetzt.
    Sein Kopf war seltsam leer. Dennoch hatte er nicht das Bedürfnis zu schlafen. Er starrte mit offenen Augen vor sich hin. So war es ihm bisher nur einmal in seinem Leben gegangen. An dem Tag, als er in einer Bar in Hanover mit bloßen Fäusten auf einen Iren losgegangen war. Dieser Schwachkopf hatte sich über den Zustand der Marine weltweit ausgelassen, während er sich mit Guinness voll laufen ließ.
    »Und wenn wir von Details reden«, grölte er, »dann würde ich sagen, dass die Haitianer die schlechtesten Schiffe haben und die Griechen die schlechtesten Seeleute!«
    Es hagelte Applaus, Lachen und Hurrarufe. Diamantis, besoffener, als die Polizei erlaubt, stand schwankend auf, sein Bier in der Hand. Er ging zu dem Iren rüber und tippte ihm auf die Schulter. Der andere sah mit gelbunterlaufenen Glubschaugen zu ihm auf. Diamantis brachte sein Gesicht nahe an das des Iren heran.
    »Ich bin Grieche, und du kriegst es mit mir zu tun. Besser noch, ich fick das Loch am Arsch der Welt, aus dem du gekrochen bist.«
    Und er goss ihm den Inhalt seines Pints über den Kopf.
    Er hatte nur wenige Minuten die Oberhand behalten. Danach hatte er nur noch eingesteckt. Schließlich hatte er sich eine volle Kelle an der linken

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