Aldebaran
ist dieses Schiff wie ein Huhn. Wenn sie wollen, rupfen sie es, das hast du gesagt, als du die Waffen an die Mannschaft verteilt hast.«
»Ja«, antwortete Abdul, der nicht verstand, worauf Diamantis hinauswollte.
»Du hast noch hinzugefügt, dass wir mit oder ohne Waffen dabei draufgehen könnten, wenn die Armee uns nicht zu Hilfe kommen würde. ›Was sollen wir damit?‹, hatte Rosario mit Blick auf seine Schrotflinte gefragt. ›Nichts‹, hast du geantwortet. ›Absolut nichts. Das ist nur, um der Vorschrift zu genügen. In einer halben Stunde lässt du deine Flinte fallen, und wir verschwinden alle von hier. Wir haben es nicht verdient, für sechstausend Ersatzteile von Fernsehern zu sterben, oder?‹«
»Die Armee ist gekommen. Und wir sind davongekommen.«
»Ja. Das ist die Hauptsache, Abdul. Ohne Schaden davonkommen. Du bist mir keine Erklärung schuldig. Warum du gestern bereit warst, diesen Kahn zu verlassen, um dein Leben zu retten, und warum du heute bleibst auf die Gefahr hin, dass du zugrunde gehst. Bring deine Geschichten in Ordnung, ich bringe meine in Ordnung. Danach schmeißen wir alles hin und machen einen drauf. Einverstanden?«
»Meine habe ich in Ordnung gebracht.«
Diamantis sah ihn mit einem traurigen Lächeln an. »Das glaub ich nicht, Abdul. Dann würdest du nicht so ein Gesicht ziehen. Ich bin sicher, Abdul, dass du tief in deinem Innern noch nicht akzeptiert hast, dass Céphée dich hat sitzen lassen.«
»Was weißt du schon davon?«
»Ich weiß, dass du nicht ein einziges Mal von deinen Kindern gesprochen hast, nicht ein einziges Mal hast du von ihr, dir und den Kindern wie von einer Familie gesprochen. Du hast nur von dir gesprochen.«
»Du kannst mich mal, Diamantis.«
»Siehst du, Abdul, du hast geglaubt, du wolltest mit mir sprechen. Aber du willst eigentlich gar nicht.«
Als er am Strand des Propheten ankam, war es nach sieben. Nedim hatte zwei Bier getrunken, bevor er auf Gin umgestiegen war. Die Idee, Lallas Wagen zu klauen und damit bis in die Türkei zurückzufahren, hatte er fallen lassen. Sie amüsierten sich wie zwei alte Kumpel, die beiden. Und Amina war nicht mehr da.
20 Ein Rendezvous, Furcht einflößend, ausweglos
Ja, diese Narbe war eine Geschichte für sich. Amina musterte Nedim. Er lächelte sie stolz an, mit dieser Grausamkeit, zu der man nach einer Demütigung manchmal fähig ist. Lalla und sie hatten ihm nichts erspart in jener Nacht. Sie machten sich immer noch über ihn lustig. So war das Leben. Amina waren alle Gefühle für Gerechtigkeit oder Mitleid abhanden gekommen. Ebenso wie Selbstmitleid. So war das Leben. Sie hatte sich ihres nicht ausgesucht. Sie hatte nur an jenem Tag, als dieses Ekelpaket Bruno Schmit ihr die Wange mit dem Messer aufgeschlitzt hatte, beschlossen, nicht mehr alles hinzunehmen.
Sie gab Nedims Lächeln ohne den geringsten Groll zurück. Er war nur ein unbedeutender Dummkopf, wie sie zu hunderten im Habana ein- und ausgingen. Ein naiver Schaumschläger. Nicht bösartig. Auch nicht mutig. Sie hätte sich nicht im Traum vorstellen können, dass er sie auf die Narbe ansprechen würde. Die anderen vermieden es, wandten die Augen ab von diesem Makel auf ihrem Gesicht. Von diesem Stern, der ihre Wange zeichnete wie ein zerbrochener Spiegel. Sie verstand es, durch Blick und Worte jedem, der es wagte – egal ob Mann oder Frau – sogleich seine eigenen Unzulänglichkeiten und ärgsten Schwächen vorzuhalten.
Amina hatte vergessen, wie das Blut ihr in dicken, heißen Tränen über die Wange gelaufen war, nicht aber den Aufprall der Klinge auf dem Knochen und den Schrei, den er ihr entlockt hatte. Die Narbe hatte sich noch tiefer in ihre Erinnerung eingegraben als in die Haut. Seit jenem Abend brauchte sie nur die Augen zu schließen, um jederzeit erneut die Sekunde zu durchleben, in der das Messer in ihre Wange eingedrungen war. Die absolute Demütigung.
Lalla beobachtete Amina verstohlen, während sie an ihrer Limo nippte. Sie erwartete eine jener vernichtenden Äußerungen von Amina, mit der sie sich auf einen Schlag Nedims obszöner Blicke entledigen würde. Mit der sie seinen Männerstolz, den er vor sich her trug wie diesen Schwanz zwischen den Beinen, zunichte machen würde.
Amina trank einen Schluck Cola. »Ja«, sagte sie nur, »das ist eine Geschichte für sich.«
Nedim hakte nicht weiter nach. Kaum hatte er seine Frage gestellt, war ihm bewusst, dass er das Schlimmste heraufbeschwor. Die schneidende Antwort, die ihn
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