Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
Gesellschaft der anderen nicht sehr wohl zu fühlen und schlüpfte unauffällig in den Stall, als die anderen aufbrachen. Alejandro überlegte, ob er ihn auffordern sollte, sich ihnen anzuschließen, entschied sich dann jedoch dagegen, da der Mann offensichtlich keine Gesellschaft suchte.
Aber warum sonderte sich ein päpstlicher Soldat von seinen Kameraden ab, statt mit ihnen die in Aussicht stehenden Vergnügungen zu genießen?
Er vergaß sein Misstrauen, als er die Neugier in Guillaumes Gesicht bemerkte. Es überraschte ihn nicht, dass das Kind aufgeregt war; ihm selbst hatte der lange Ritt von Avignon nach
Paris, den er im Jahr 1348 zurückgelegt hatte, wichtige Erfahrungen beschert und ihn einiges über den Lauf der Welt gelehrt, und er würde niemals auch nur die geringste Kleinigkeit vergessen - nicht einmal die schrecklichen Erlebnisse, die man besser vergessen sollte. Der Knabe, der seiner Obhut anvertraut war, hatte sein ganzes bisheriges Leben im Ghetto von Avignon verbracht, abgesehen von der beschwerlichen Reise, die Alejandro mit dem vor die Brust gebundenen Neugeborenen von Paris nach Avignon geführt hatte. Was für Lehren mochte diese Reise für den Enkel des Königs von England bereithalten?
»Nun gut«, sagte er zu Guillaume. »Wir werden uns die Musik anhören, aber du musst mir versprechen, nicht mit Fremden zu reden.«
An der Tür der Taverne hieß er Guillaume hinter ihm warten, bis er sich umgesehen hatte; als er nichts Ungewöhnliches entdecken konnte, ließ er den Knaben eintreten. Mit weit aufgerissenen Augen blickte Guillaume auf das bunte Treiben und sog alles in sich auf. Die Frauen in der Taverne trugen tief ausgeschnittene Kleider in schreienden Farben, die von den Jüdinnen im Ghetto als schamlos angesehen worden wären. Sie hatten sich mit Spitzen und Schmuck herausgeputzt, trugen auffälligen Kopfputz und spitze Schuhe.
»Warum haben die Frauen alle so eine große Stirn?«, fragte Guillaume.
»Sie kämmen ihr Haar zurück, weil eine hohe Stirn als elegant gilt.«
Guillaume zuckte die Achseln. »Das verstehe ich nicht«, sagte er. »Ich finde, es sieht merkwürdig aus.«
»Das finde ich auch«, stimmte ihm sein Großvater zu.
Die Ausgelassenheit der Gäste - das Singen, Tanzen, Zanken, das muntere Geplauder -, all das zog den Knaben in seinen Bann.
»Bist du hungrig?«, fragte ihn Alejandro.
»O ja!«
»Dann lass uns etwas essen.« Er winkte dem Wirt. Als er zu ihnen trat, bestellte er Brot und Käse und für sich einen Krug Bier.
»Heute Abend darfst du zum ersten Mal Bier kosten, Guillaume.«
Guillaume griff begierig nach dem Krug, verzog gleich darauf jedoch das Gesicht, als die bittere Flüssigkeit seine Zunge berührte.
»Der Knabe beweist guten Geschmack.«
Alejandro drehte sich zu der Stimme um und sah einen älteren Mann mit weißen Haaren und grauem Schnurrbart vor sich. Als der Alte lächelte, legte sich sein Gesicht in tausend Fältchen, aber seine klaren blauen Augen blickten munter.
»Mir schmeckt das Bier hier auch nicht«, sagte er. »Aber ich trink’s dennoch, denn das Wasser sollte man weder für Geld noch gute Worte trinken.«
Diese Bemerkung weckte sogleich Alejandros Interesse. »Und wie kommt das, guter Mann?«
Der Mann sah sich um, als wolle er sichergehen, dass sie niemand belauschte. »Nun ja«, sagte er dann, »man wird krank, wenn man es trinkt. Aber der Wirt will nicht zugeben, dass das Wasser in seinem Brunnen verdorben ist.«
Der Medicus ignorierte den schlechten Atem des alten Mannes und rückte näher heran. »Wie äußert sich diese Krankheit?«
Der Mann sah ihm in die Augen und sagte: »Ihr klingt wie ein Spanier.«
Nach all den Jahren in der Verbannung hätte er gedacht, dass die Spuren seiner Herkunft ausgelöscht seien. Aber dieser Mann hatte ihn bereits nach wenigen Sekunden durchschaut.
»Ich habe an vielen Orten gelebt«, sagte er vorsichtig, »auch in Spanien. Ich vermute, meine Zunge hat ein wenig vom Klang dieser Sprache angenommen. Aber bitte, fahrt fort - wie macht sich die Krankheit bemerkbar?«
»Diejenigen, die aus dem Brunnen trinken, bekommen alle
la grippe«, sagte der alte Mann. »Sie können nichts mehr bei sich behalten, weder am einen Ende noch am andern, wenn Ihr versteht, was ich meine.« Seine Augen funkelten bei dieser unappetitlichen Enthüllung vergnügt.
»Ja, ich verstehe«, sagte der Medicus. »Aber eine solche Krankheit wird doch gewiss nicht allein durch das Wasser hervorgerufen.«
»Und
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