Alera 01 - Geliebter Feind
der Genugtuung auf mein Gesicht. In diesem Moment trat Kalems Mutter Edorra zu uns, unterbrach uns und sorgte damit für einige unzufriedene Seufzer.
»Die Königin gedenkt aufzubrechen«, sagte sie und funkelte uns vielsagend an.
Nachdem ich keine Lust hatte, mein Leben weiter in größerer Runde zu besprechen, warf ich Miranna einenBlick zu, der ihr zu verstehen geben sollte, dass ich ebenfalls gehen wollte. Und so verließen wir die Gesellschaft kurz nach unserer Mutter. Als wir das Wachzimmer rechts von der Prunktreppe passierten, schlossen sich unsere Leibwächter uns an und Miranna ergriff meine Hand.
»Wie geht es dir tatsächlich? Londons Abwesenheit muss schwer zu ertragen sein.«
»Das ist sie. Jedes Mal, wenn ich um eine Ecke biege, rechne ich mit einem seiner ironischen Kommentare, aber da ist immer nur Stille. Ich habe den größten Teil meines Lebens mit ihm verbracht und fühle mich ohne ihn wie verloren. Ich schätze, dass ich mich nicht nur als Beschützer auf ihn verlassen habe.«
»Ich kann mir vorstellen, wie schrecklich dir zumute sein muss. Halias ist auch schon immer mein Leibwächter. Ich würde einen Teil meines Lebens verlieren, wenn er nicht mehr da wäre. Aber ich bin mir sicher, dass es mit der Zeit leichter werden wird. Und eines Tages wirst du London wiedersehen.«
Halias war mit dem Tag ihrer Geburt Mirannas Leibwächter geworden. Ihn, London und auch Destari verband die gleiche Art, Abstand zu ihren Schutzbefohlenen zu halten und diesen so eine gewisse Privatsphäre zu gewähren. Tadark dagegen drängte sich dauernd viel zu sehr auf. In diesem Moment zum Beispiel klebte er gerade an meinem Ellbogen. Miranna hatte ebenfalls einen zweiten Leibwächter zugeteilt bekommen, doch sie hatte das Glück gehabt, dass es sich um keinen wie Tadark handelte.
»Ich glaube auch, dass ich ihn irgendwann wiedersehe. Aber in diesem Augenblick weiß ich einfach nicht, was ich fühlen soll. Seine Abwesenheit reißt eine Lücke, die einfach niemand schließen kann.« Allein das auszusprechen ließ den Schmerz erneut aufflammen.
Tadark, dem in diesen Tagen eine Million böser Bemerkungen über London auf der Zunge lagen und der beständig nach Gelegenheiten suchte, diese loszuwerden, vermochte sich nicht länger zu bezähmen.
»London hat mitten in der Nacht seinen Posten verlassen! Ich würde so etwas nie tun!«, rief er, als ob jemand ihn schrecklich gekränkt hätte. »Und irgendwas an ihm war schon immer verdächtig. Ich habe das schon bei unserer allerersten Begegnung gesehen, ich schon!«
»Tadark«, sagte ich gereizt. »Dieser Satz scheint dir ja sehr wichtig zu sein, so oft wie du ihn wiederholst, aber jetzt sei still.«
»London war kein halb so guter Leibwächter wie ich!«, setzte er noch hinzu, als müsse er sich selbst von der Richtigkeit dieser Behauptung überzeugen.
» Sofort «, sagte ich und bemühte mich um einen ruhigen Ton.
Tadark warf mir einen gekränkten Blick zu und ließ sich dann zu den anderen Wachen zurückfallen. Ich sah mich in dem Moment nach ihnen um, als Destari ihn wütend anblitzte.
»Ich weiß nicht, wie lange ich ihn noch ertragen kann«, flüsterte ich Miranna zu, deren Gesichtsausdruck verriet, wie gut sie mich verstand.
Als wir uns der Wendeltreppe auf der Rückseite des Palastes näherten, entschloss ich mich zu einem Spaziergang im Garten. Meine Schwester bot an, mich zu begleiten, doch ich versicherte ihr, dass das nicht nötig sei und ich lieber ein bisschen allein wäre. Destari würde Tadark schon in Schach halten.
Die diensthabenden Palastwachen öffneten mir die Tore, und ich trat hinaus, um über die Gartenwege zu schlendern. Unter dem üppigen Blätterdach kamen meine Gedanken ein wenig zur Ruhe. Ulmen, Eichen, Kastanienund Maulbeerbäume spendeten kühlenden Schatten, Birnbäume, Zitronen- und Orangenbäume lieferten herrliche Früchte, Lilien, Veilchen, Tulpen und Rosen tränkten die Luft mit ihrem Duft, während eine Vielzahl von Kräutern in der Küche und als Heilmittel Verwendung fand. Das Zwitschern und der Gesang der zahlreichen Vögel in unserem Park waren neben dem leisen Rauschen der Blätter oft die einzigen Geräusche in dieser friedlichen Umgebung.
Gegen Ende des Nachmittags hatte sich meine Stimmung deutlich gebessert. Auch wenn ich mich nach wie vor mehr nach Londons Gegenwart sehnte, als ich mich je nach irgendetwas gesehnt hatte, so hatte der Garten meine Trauer doch zumindest besänftigt. In dieser Nacht schlief ich zum
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