Alex Benedict 04: Das Auge des Teufels
dass ich den passenden Teint habe.«
»Das fällt im Dunkeln niemandem auf.«
Danach mussten wir nur noch warten. Was natürlich exakt der Zeitpunkt ist, zu dem man anfängt, sich ernsthaft Sorgen zu machen. »Weißt du«, sinnierte ich, »vielleicht lassen sie uns ja auch einfach nur hier zurück! Oder sie hoffen, dass wir versuchen, von dem Plateau runterzuklettern, und uns dabei den Hals brechen!«
»Nein«, widersprach Alex, »hätten sie das gewollt, hätten sie uns selbst hinuntergestoßen. Es würde ihnen nicht gefallen, müssten sie erklären, wie wir zu Tode gekommen sind. Oder warum wir mit einem Mal verschwunden sind. Außerdem können sie nicht beurteilen, ob noch andere Leute wissen, warum wir hergekommen sind.« Er trat sich die Schuhe von den Füßen und legte die Füße auf einen Hocker. »Das Letzte, was die wollen, ist, dass uns etwas zustößt!«
Wir gingen davon aus, dass Krestoff in den nächsten zwei Tagen zurückkehren würde. Aber die Tage vergingen, und der Himmel blieb leer. Sicher, wir sahen ein paar Luftfahrzeuge, aber sie flogen viel zu hoch, als dass wir irgendeine realistische Chance gehabt hätten, uns bemerkbar zu machen.
Jedenfalls stellte uns die Situation vor ein Problem. Wir konnten nicht riskieren, dass sie uns überraschten, beispielsweise, indem sie mitten in der Nacht auftauchten. Oder dass sie sich hereinschlichen, während wir HV schauten und nicht aufpassten. Sollten sie uns überraschen, wäre unser Fluchtplan dahin. Also einigten wir uns auf eine Vorgehensweise. Je zwölfstündige Wachen, in denen immer einer von uns konstant Ausschau halten musste.
Wir stellten die Möbel um und entspannten uns, so gut es uns gelingen wollte, während einer von uns stets am Fenster oder der Eingangstür Posten bezog.
Was stellt man mit seiner Zeit an, wenn man weiß, dass jemand vorhatte, einem das Hirn auseinanderzunehmen? Was mich betrifft, ich befasste mich vorwiegend mit Zeug, das mir kaum Aufmerksamkeit abforderte. Komödien, in denen haufenweise Leute stolperten, und Krimis, die vorzugsweise aus Verfolgungsjagden bestanden. Und mit leichtem Lesestoff, Material, das mir keinen emotionellen Einsatz abverlangte. Ich hatte keine Emotionen übrig.
Wir aßen gemeinsam, und die frühen Abendstunden verbrachten wir mit halb heruntergeregelter Beleuchtung im Wohnzimmer. Alex las Englands größte Stunde. Er hatte das Buch auf den Sofatisch gelegt und blätterte jede Seite vorsichtig um. Dann und wann hielt er inne und las mir einen Abschnitt vor. Er genoss es, Churchill zu zitieren: Nie zuvor in der Geschichte menschlicher Konflikte … Und: Sieg um jeden Preis, Sieg trotz aller Schrecken, Sieg, wie lang und hart der Weg auch immer sein mag … »Den müssten wir jetzt an unserer Seite haben!«, meinte er.
»Auf welcher Seite hat er denn gestanden?«
Alex verdrehte die Augen. »Auf der zivilisierten!« Plötzlich wirkte er arg gedankenverloren. »Zu schade, dass sie damals keine Avatare hatten! Es ist einfach zu lange her.«
Am sechsten Tag brach ein Monstersturm über uns herein und schneite uns ein. Als der Sturm vorüber war und wir die Tür öffneten, mussten wir über einen Berg aus Schnee klettern, um hinauszugelangen.
Ich hoffte, Peifer würde vielleicht merken, dass wir verschwunden waren, und unsere Spur aufnehmen. Aber diese Hoffnung war weit hergeholt. Als ich es Alex gegenüber erwähnte, fragte er, auf welche Weise Peifer uns denn meiner Ansicht nach hier an diesem verlassenen Ort aufspüren sollte.
Zu jener Zeit war der Wahlkampf in vollem Gange, und wir hörten uns an, wie die diversen Kandidaten behaupteten, das Leben der Menschen auf der ganzen Welt verbessern zu wollen. Jeder Einzelne betonte, er werde den Stummen den notwendigen Widerstand entgegensetzen. Unterschiede fanden sich nur in den Details. Einige wollten die Konföderation zu Hilfe rufen. Aber die Konföderation war nicht allzu populär auf Salud Afar. Dort hielt man nämlich die Konföderation überwiegend für eine ferne Macht, die, gäbe man ihr nur eine Chance dazu, sich nur zu gern über die Ressourcen des Planeten hermachen würde. Mir drängte sich mehr und mehr der Eindruck auf, die Politiker auf Salud Afar hätten es sich bereits zur Gewohnheit gemacht, sich gegen die Konföderation zu stellen und sie als Bedrohung darzustellen.
Andere Neuigkeiten waren schlicht belanglos: der unerwartete Tod einer wohl bekannten, ehemaligen Schönheitskönigin, der Skandal, ausgelöst durch die
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