Alexander der Große
seinen Lesereisen stolz vortrug. In der Mehrzahl fand
er ein geneigtes Publikum, einmal aber traf er auch auf einen Zweifler. Als er am Hofe des mächtigen Diadochenkönigs Lysimachos,
der als königlicher Leibwächter von Anfang an am Zuge teilgenommen hatte, seine Geschichte vorlas, unterbrach dieser ihn lächelnd:
„Und wo war ich denn damals?“ 62
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|64| „Für alle zu wenig, für einen zu viel“ – Durch die Wüste
Alexanders Soldaten kämpften in den großen Schlachten gegen Satrapen und Könige, sie belagerten Städte und Bergfestungen oder
gerieten in den Wäldern und Schluchten Baktriens in den Hinterhalt von Partisanen. Die meisten starben aber nicht in Gefechten,
sondern erlagen den Strapazen des Marsches. Monsunregen, Schlangenbisse, Tropenkrankheiten oder Wassermangel forderten mehr
Tote als die Sichelwagen der Perser oder die Kriegselefanten der Inder. Am verlustreichsten erwies sich allerdings ein Unternehmen,
dessen militärischer Sinn sich niemandem erschloss: der Fußmarsch durch die Gedrosische Wüste während der Rückkehr aus Indien.
Vielleicht aber war es gerade diese Expedition, die die Alexanderhistoriker als Beweis für die besondere Verbundenheit des
Königs mit seinen Soldaten sehen wollten.
Auf der Suche nach dem östlichen Rand der Welt hatte Alexander im Sommer 327 Indien erreicht. Am Hydaspes schlug er 326 seine
letzte große Schlacht und besiegte den König Poros mit seinen Kriegselefanten. Er zog weiter bis zum Hyphasis, doch dort blieb
er allein. Nach acht Jahren verweigerte ihm das Heer die Gefolgschaft. So fuhr er mit der Flotte den Indus hinab, um jenseits
der Mündung zumindest den südlichen Ozean zu erreichen, auf dem die Erdscheibe schwamm. Der lange Rückzug nach Westen war
verschoben, aber im Indus-Delta musste er ihn nun doch antreten. Dazu teilte er das Heer in drei Gruppen. Ein Teil der Eliteeinheiten
sollte zusammen mit den Verwundeten unter der Führung des Krateros auf dem Landweg über |65| den Bolan-Pass nach Alexandria Quandahar aufbrechen, der Admiral Nearchos mit der Flotte auf einer bis dato unbekannten Route
die Küste entlang ins Rote Meer und zum Euphrat fahren, Alexander selbst mit dem Gros des Heeres durch die Wüste von Gedrosien,
von Pattala (bei Haiderabad) nach Pura im südöstlichen Iran ziehen.
Die Berichte über den Zug gehen, und das bis in die Wortwahl, auf drei Zeitgenossen zurück, auf Ptolemaios, Aristobul und
Nearchos. Letzterer dirigierte die Flotte und kann seine Fassung somit nur auf Erzählungen von Augenzeugen stützen. Wenn Ptolemaios
und Aristobul an der Wüstendurchquerung teilnahmen, so lässt sich das ihren Protokollen nicht anmerken. Zwar gab es auch in
ihren Berichten gewisse Schwierigkeiten zu überwinden, aber Alexander war dazu da, sie zu meistern. Der Wüstenzug ist bei
Ptolemaios und Aristobul eine weitere seiner logistisch-militärischen Glanztaten: Kranke, Verletzte oder Tote kommen nicht
vor.
Bei Nearchos liest sich das anders, denn er fühlte sich – zumindest vor der Nachwelt – mit seinem erfolgreichen Flottenunternehmen
in einer gewissen Konkurrenz zu Alexander, dem er sich bei aller Loyalität zu Lebzeiten nach 323 gern gleichstellte. Vielleicht
fühlte er sich auch von Alexander nicht hinreichend unterstützt, denn der einzige rational erfassbare Grund für den Wüstenmarsch,
dem aber ein kleines Heereskontingent viel besser gedient hätte, war es, von Land aus der an der Küste segelnden Flotte des
Admiral Nearchos mit Proviant und Wasser Hilfe zu leisten.
Wie aus den Berichten des Ptolemaios die Sicht des Alexander nahestehenden Offiziers spricht, so spiegeln sich in denen des
Nearchos die Aussagen gewöhnlicher Soldaten, die er später befragte: Nearchos berichtet, wie die Sonnenhitze, der Mangel an
Wasser, der glühend heiße Sand, die überlangen 60-tägigen Märsche, meist bei Nacht, die Soldaten erschöpften. Wie sie aus
Hunger heimlich die Lasttiere schlachteten, das Fleisch der Pferde und Maulesel aßen und dabei vorgaben, sie seien an Durst
eingegangen, wie sich viele, wenn sie denn an eine Wasserstelle kamen, in voller Bewaffnung ins brackige Wasser stürzten,
es wie Ertrinkende schlürften, an dem Übermaß des Trinkens |66| starben, und wie die aufgedunsenen Leiber schließlich an der Oberfläche trieben und die Quelle verdarben:
So blieben denn die Menschen am Wege liegen, die einen krankheitshalber, andere, weil sie sich
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