Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
beiden Ruderer waren unbewaffnet, aber Aristoteles sah in ihnen sofort makedonische Krieger– die Haltung, die Gesichter, die Ruhe. Sie baten ihn, einzusteigen und sich an Bord bringen zu lassen.
Drakon lehnte an der Bordwand; er kaute auf einem Myrtenzweig. Die Beeren waren entfernt, die Blätter zeigten Spuren guter Zähne. Der Heiler grinste, als er Aristoteles an Bord zog.
» Gut, dich zu sehen, alter Freund.« Der Philosoph legte einen Moment die Hände auf Drakons Schultern. » Was bringt dich her– und wozu die Heimlichkeit?«
Drakon nahm ihn am Arm und ging mit ihm zum erhöhten Achterdeck; dort standen zwei Klappschemel, ein kleiner Klapptisch, ein Weinkrug und zwei Becher. Die auffällig ordentliche Mannschaft, hellhäutige Männer, hielt sich weiter vorn auf.
» Du lehrst Wissen, Freund, aber die Klugheit sagt uns, daß zuviel Wissen manchmal Gefahr bergen kann.«
Aristoteles setzte sich; lächelnd nahm er den Becher entgegen. » Wie wahr. Aber Gefahr für wen?«
Drakon hob die Schultern; er zog den Zweig aus dem Mund und steckte ihn hinters rechte Ohr. » Für wen auch immer. Bisweilen ist allzu große Vorsicht einfach angebracht. Ich hatte zum Beispiel nicht das Bedürfnis, den zahlreichen Hafenwächtern der großen und ruhmreichen Stadt Mytilene Auskünfte über meine Absichten und Wünsche zu erteilen. Deshalb hier.«
Aristoteles trank; der Wein war kühl und mild. » Ich nehme an, daß du keine Zeit hast, meine Gastfreundschaft zu genießen. Vielleicht wäre auch das– unweise und gefährlich?«
Drakon nickte. » Nach Sonnenuntergang legen wir ab; wir wollen das aiolische Festland erreichen, in der Nacht.« Er wies mit dem Daumen hinter sich, nach Osten, über das Meer.
» Ihr werdet eure Gründe haben.«
Drakon zupfte an seinem rechten Ohrläppchen; der Zweig tanzte. » Gute Gründe, ja. Und außerdem Fragen. Ich brauche zwei Antworten von dir, bevor wir aufbrechen können.«
» Stell deine Fragen.« Aristoteles betrachtete das Gesicht des Arztes, dann schaute er in seinen Becher.
» Grüße deines Spielgefährten der Kindheit, Philipp. Er will dich haben.«
Aristoteles hustete. » Er– was?«
» Aus zwei Gründen. Das sind auch die beiden Fragen.«
» Um was geht es?«
Drakon nickte langsam. » Gut; du bist also nicht von vornherein abgeneigt.«
Aristoteles seufzte leise. » Keine Umwege, Drakon. Spuck es aus.«
Der Heiler schloß die Augen. » Nachdem die gemeinsame Erziehung der edlen Fürstensöhne zu Treue und Nützlichkeit, auch ihrer Väter, bis zum zwölften Lebensjahr gesichert ist, möchte der König dies auch darüber hinaus ausdehnen. Es hätte den Vorzug, die weitere Treue der Väter zu festigen, die Söhne auf große Aufgaben vorzubereiten, ihre Bildung zu vertiefen. Und Alexander dem Zugriff von Mutter und Priestern zu entziehen.«
» Wo?«
» Mieza. Ein altes, seit langem ungenutztes Heiligtum an einem Berghang, inmitten von Wäldern, mit einer guten Quelle. Das Nymphaion wird ausgebaut; im Frühjahr ist es verwendbar, als Unterkunft und Lehranstalt. In der Nähe liegt eine kleine Festung; sie wird geleitet von Kleitos dem Schwarzen.«
» Warum schwarz?«
Drakon öffnete die Augen und grinste. » Er ist am ganzen Körper behaart wie ein schwarzer Bär. Er ist edler Abkunft, Gefährte des Königs, Bruder von Lanike, die Alexander gestillt hat. In dieser kleinen Festung wird ein Teil der weiteren Ausbildung stattfinden; außerdem sorgt Kleitos dafür, daß weder Wölfe noch Bären noch Olympias den Unterricht stören.«
Aristoteles’ Stirn war gefurcht; er schien zu grübeln.
» Wie alle Maßnahmen des Königs«, sagte Drakon mit einem Hauch von Ehrfurcht, gemischt mit Spott, » hat auch diese, wenn sie denn durchgeführt wird, den Vorzug, eine ganze Reihe von Dingen zugleich zu bewirken. Ausbildung, Fürstentreue, verläßliche und fähige Gefährten für den künftigen König, Schutz vor unerwünschten Einflüssen. Und Bezahlung eines möglicherweise zur Zeit gelangweilten und unterbezahlten Philosophen, an dessen Fähigkeit und Zuverlässigkeit kein Zweifel erlaubt wäre.«
Aristoteles nickte, stumm.
» Weiter?«
» Wahrscheinlich muß ich zuerst zustimmen, ehe ich weiteres hören darf, wie?«
Drakon grinste. » Deine Weisheit, die man rühmt, o Aristoteles, ist gering im Vergleich zu deiner Klugheit, die keiner genug preisen kann.«
» Ha.« Der Philosoph rieb sich die Augen. Der auffrischende Abendwind sorgte für leichten Seegang; das Schiff hob
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