Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
gewesen, die gekündigt habe. Angeblich konnte sie sich keine Hilfe mehr leisten«, meinte Vangelis.
»Meines Wissens sind die Leute nicht arm«, sagte Balke verwundert. »Das Haus ist längst bezahlt, und beim Verkauf der Baufirma ihres Vaters dürfte einiges in die Kasse gekommen sein.«
»Ich vermute eher, sie hatte Angst vor neugierigen Fragen, weil das Kind plötzlich nicht mehr da war.«
»Was wissen wir über diese Putzfrau?«, hakte ich nach.
Vangelis blätterte eine Seite ihres Notizbüchleins um. »Bisher nur den Vornamen: Iva. Sie ist Ausländerin, vermutlich aus dem Osten, spricht aber angeblich recht gut Deutsch.«
»Und was sagt Frau Jörgensen dazu?«
»Sie weiß so gut wie nichts über die Frau, behauptet sie. Sie hat sie nur wenige Monate beschäftigt und kennt angeblich nicht mal ihren Nachnamen. Sie hat sie immer bar bezahlt, sagt sie.«
Vangelis blätterte weiter und sah mich dann an. Plötzlich kam mir ein Gedanke: »Es ist vielleicht nur ein Hirngespinst. Aber trotzdem: Frau Sander beschäftigt auch eine ausländische Putzhilfe. Versuchen Sie doch mal rauszufinden, wie die heißt und was aus ihr geworden ist.«
Vangelis machte sich eine Notiz mit ihrer nur für sie lesbaren winzigen Schrift. Balke gähnte schon wieder.
»Wir brauchen einen Durchsuchungsbeschluss.« Vangelis schloss ihr Büchlein mit leisem Knall. »Frau Jörgensen lügt, sobald sie den Mund aufmacht. Irgendetwas stimmt da vorne und hinten nicht.«
»Der Gedanke ist mir auch schon gekommen.« Die anderen erhoben sich, und ich griff zum Hörer. »Ich kläre das mit der Staatsanwaltschaft. Und außerdem werde ich Tims Vater mal ein bisschen auf den Zahn fühlen und mir seine Version der Geschichte anhören.«
14
Hermann Jörgensen musste früher ein Hüne gewesen sein. Hermann der Cherusker, dachte ich unwillkürlich bei seinem Anblick. Jetzt saß er zusammengekauert in einem Rollstuhl, ein geschlagener Held, und von seiner alten Kraft war nicht viel übrig geblieben außer der befehlsgewohnten Stimme und einem selbstsicheren Blick.
»Kommen Sie rein«, knurrte er. »Hat wohl nicht viel Sinn, wenn ich versuche, die Kripo abzuwimmeln, was?«
Mit surrenden Reifen rollte er vor mir her durch seine äußerst spärlich möblierte Vierzimmer-Wohnung aus den Sechzigerjahren. Rasch wurde mir klar, weshalb es hier so wenige Möbel gab: Der Hausherr brauchte Platz zum Manövrieren. Und er hatte noch nicht viel Übung darin. Es roch säuerlich nach Krankenzimmer und Desinfektion, nach Schwäche und Wut. Vor allem jedoch roch es nach Zigarettenqualm. Die filterlosen Marlboro, das Feuerzeug sowie ein Aschenbecher aus Blech lagen griffbereit in Jörgensens Schoß. Die Wohnung lag in einem etwa zehnstöckigen Hochhaus an der Berliner Straße.
»Behindertengerecht!« Er lachte gallig. »Wer hätte gedacht, dass dieses Scheißwort für mich mal eine Bedeutung haben würde!« Mit einer unwilligen Bewegung wies er auf zwei schmale Sessel. »Platzen Sie sich. Sie sind mir hoffentlich nicht böse, wenn ich Ihnen nichts zu trinken anbiete.«
»Es geht um Tim.« Ich setzte mich vorsichtig, weil der Sessel auf mich einen etwas wackeligen Eindruck machte. Aber man saß überraschend bequem und sicher darin.
»Ist der Junge immer noch nicht wieder aufgetaucht? Muriel ist ja immer schon schusselig gewesen. Was nicht festgedübelt ist, das verliert sie.« Wieder lachte er. »Aber dass sie es schafft, sogar ihr heißgeliebtes Kind zu verlieren, das hätte ich denn doch nicht gedacht.«
Mit zittrigen Händen steckte er sich eine Zigarette an. Er inhalierte, als wäre es die erste seit Monaten.
»Ihre Frau behauptet, Tim sei entführt worden.«
»Gekidnappt?« Er hustete. Für einen Moment hatte es ihm die Sprache verschlagen. »Wer macht denn so was?«
»Sie wissen also nichts davon?«
»So wahr ich hier sitze und gemütlich vor mich hin verrecke.« Wieder hustete er. Er schien dabei Schmerzen zu haben. »Wir leben getrennt, wie Sie sehen«, fuhr er dann heiser fort. »Und Sie haben ja letztens am Telefon schon sehr richtig bemerkt, ich hänge nicht allzu sehr an dem Jungen.«
»Darf man fragen, weshalb?«
»Selbstverständlich darf man das. Man wird aber keine Antwort erhalten. Ich denke, das tut hier nichts zur Sache. Sie werden mir hoffentlich glauben, dass ich als Täter nicht infrage komme.«
»Ich bin nicht hier, weil ich Sie verdächtige. Wenn so etwas geschieht, dann sehen wir uns immer die Angehörigen an, das Umfeld. Das
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