Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache
können.«
»Das kann ich nicht.« Alex schüttelte den Kopf. »Ich … ich bin davon nicht überzeugt, Marcus, und ich kann ein Gutachten nicht übers Knie brechen! Das ist deine Sichtweise auf die Dinge, okay, aber da ist womöglich viel mehr …«
»Alex«, unterbrach sie Marcus und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Alex, mach es einfach. Es ist vorläufig. Du kannst es immer noch verfeinern. Eine Zusammenfassung vom Stand der Dinge, mehr nicht. Und ich glaube nicht, dass wir im Moment mehr haben, das wirklich fassbar ist. Alles andere sind nur Seifenblasen, die schnell zerplatzen können.«
Alex biss sich auf die Unterlippe und zwang sich, eine Erwiderung herunterzuschlucken. Natürlich hatte Marcus recht, und sie konnte verstehen, dass der Druck auf ihn gewaltig sein musste. Alle übrigen Bruchteile, die eine Rolle spielen mochten, schwirrten wie die sich ständig ändernden Muster in einem Kaleidoskop in ihrem Kopf, die sich nicht zu einem Bild fügen wollten. Sie brauchte Zeit. Zeit, die sie nicht hatte. Zeit, die niemand hatte.
Zeit, alles geht so schnell. Warum geht es so schnell, welche Rolle spielt die Zeit?
»Okay.« Sie nickte.
Wieder verloren, wieder nicht durchgesetzt, Agent Starling.
»Guten Abend, und bei Gott, was für ein Debakel.«
Als Alex sich zu der Stimme drehte, blickte sie in das unpassenderweise überaus freundlich lächelnde Gesicht von Dr. Schröter. Er besah sich die Szenerie und pfiff durch die Zähne. »Das wird ja immer bizarrer mit Ihrem Killer. Wenn das so weitergeht, habe ich ein wirklich exorbitantes Thema für meinen nächsten Fachvortrag.«
Alex und Marcus sahen sich schweigend an.
»Ach, bevor ich es vergesse«, sagte Schröter an Marcus gewandt. »Wir haben jetzt die Ergebnisse der Blutprobe von den Fingernägeln dieser Frau Lukoschik und die Resultate aus dem DNA -Schnelltest vorliegen. Wenn ich Sie wäre, würde ich das hier auf keinen Fall liegenlassen.« Schröter griff über das Waschbecken hinweg in Richtung der Ablage, nahm einen Nassrasierer mit spitzen Fingern in die Hand und hielt ihn Marcus vor das Gesicht. »Es würde mich nicht wundern, wenn wir hieraus ein Abbild zaubern können, das dem vorliegenden gewaltig gleichen wird.«
Marcus verzog das Gesicht. »Darf ich Sie bitten, das Beweismittel zurückzulegen und nicht mit Ihren Fingerabdrücken zu versehen? Vielen Dank. Und ein ›Wir‹ gibt es hier nicht, oder habe ich Sie in die Kommission berufen?«
Das arrogante Lächeln gefror auf dem Gesicht des Mediziners. »Sicher.« Er legte den Rasierer zurück und wandte sich ab. Im Badezimmerspiegel sah Alex, wie Schröter einem Polizisten von der Spurensicherung auf die Schulter klopfte und ihn bat, zur Seite zu treten. Der Mann hatte gerade eine Probe von dem Badewasser entnommen.
»Haben wir die Möglichkeit, das Wasser abzulassen?«, fragte Schröter.
»Ich war eben im Begriff, das zu tun«, murmelte der Polizist, stellte das Röhrchen mit dem Badewasser beiseite und holte aus seinem Koffer etwas hervor, das wie ein Filter aus fein gewobener Gaze aussah. Schließlich atmete er tief durch und zwängte sich an der Leiche vorbei und versenkte den Arm mit dem Filter in das blutige Wasser. Nachdem er ihn plaziert hatte, öffnete er den Wannenablauf und keuchte: »Was für eine Schweinerei.« Als das Wasser abgelaufen war, entnahm der Polizist den Filter und legte ihn neben den übrigen Proben ab.
»Tja.« Dr.Schröter rieb sich das Kinn. Alex stellte sich neben ihn und warf einen Blick in die Wanne, in der nun der Oberkörper und der Kopf von Viviane Rückert zu erkennen waren. Das blonde Haar war blutig verfärbt. Die Arme ruhten wie verknotet im Becken der Wanne. Aus gebrochenen Augen starrte sie Alex und Dr.Schröter an, der sich über den Rand beugte, um die Leiche in Augenschein zu nehmen.
»Spüren Sie das?«, murmelte er. »Das Material strömt noch Wärme aus. Das Wasser war heiß.« Er nickte in Richtung des Wasserhahns, dessen Hebel ganz nach links gedreht worden war.
»Ja, aber wozu hat er das getan? Er hat ihr weder die Pulsadern noch die Halsgefäße geöffnet …«
Dr. Schröter drehte den Kopf der Toten behutsam zur Seite, an dem eine Platzwunde zu erkennen war. Der Körper wies auch weitere Verletzungen auf. »In jedem Fall«, schlussfolgerte der Arzt, »hat sich das Opfer dieses Mal zur Wehr gesetzt, aber tödlich dürfte keine der Abwehrverletzungen gewesen sein.«
»Ich nehme an, dass er sie ertrinken lassen wollte,
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