Alias XX
Highcastle kam nur ein Grunzen.
»Sind wir fertig?«, fragte Tom.
Zum ersten Mal seit einer halben Stunde ergriff Davies-Frank das Wort. »Ich werde das Rowansea in Kenntnis setzen, wenn wir Earl gefunden haben.«
»Nichts da«, sagte Tom. »Ich werde mich bei Ihnen melden.«
»Haben Sie vor, sich abzusetzen?«
»Dort warten nur Bandagen und Bettwanzen auf mich.«
»Sie werden ihn nicht finden, wenn Sie es allein versuchen. Ich hab versprochen, dass wir Sie zurückbringen …«
»Wie groß sind die Chancen, dass Abendammer am Treffpunkt sein wird? Zehn zu eins, dass der Hunne Sie verarscht. Sie werden mich wieder brauchen – Sie werden Earl brauchen. Oder meinen Sie wirklich, er treibt nicht sein Spielchen mit Ihnen?«
Schweigen. Tom nickte. Der Hunne war ein Marionettenspieler. Tom spürte regelrecht die Fäden, an denen sie alle hingen.
»Verhaften Sie ihn«, sagte Highcastle zu Davies-Frank. »Dann wissen wir, wo er ist, wenn wir ihn brauchen.«
»Klar«, sagte Tom. »Wenn Sie mich wieder brauchen, werde ich Sondegger erzählen, wer ich wirklich bin.«
Die beiden Engländer wechselten einen Blick – wie ein altes Ehepaar, das sich miteinander verständigen konnte, ohne eine Miene zu verziehen.
»Sie haben ein paar Pfund in der Brieftasche«, sagte Davies-Frank. »Sie haben einen Anzug und diese schreckliche
Krawatte … Kehren Sie für drei Tage ins Rowansea zurück, Tom. Für drei Tage. Und schlafen Sie sich aus. Sie sind ein Wrack.«
Grummelnd stimmte Highcastle zu.
»Wenn Sie meinen Rat wollen, Tom«, fuhr Davies-Frank fort. »Vergessen Sie Earl. Sie sind mit den Nerven am Ende. Kehren Sie ins Rowansea zurück und bringen Sie Ihren verdammten Schädel auf die Reihe.«
»Dann sind Sie jetzt fertig mit mir?«, fragte Tom.
»Nicht ganz«, sagte Highcastle. »Als Erstes sehen wir nach, ob der Hunne Ihnen wirklich nur Informationen hat zukommen lassen.«
Tom verstand nicht, bis sie ihn baten, das Jackett auszuziehen und die Taschen umzudrehen. Dann sein Hemd, seine Hose, seine Socken. Sie inspizierten die Ärmelaufschläge. Sie untersuchten die Schuhsohlen.
»Vergessen Sie nicht, nachzusehen, ob ich mich hinter den Ohren gewaschen habe«, sagte er.
Highcastle knickte das Ohr grob nach vorn. »Noch ganz nass.«
Nass hinter den Ohren. Ein Witz? Von Highcastle? Er wollte etwas erwidern. Highcastle fuhr mit den Fingern über seine schreiende Krawatte, drehte sie um und sah hinter dem Etikett nach.
»Sie glauben, er hat was in meiner Krawatte versteckt? Er hat mich ja noch nicht mal berührt.«
»Apropos.« Highcastle fasste in seine Tasche und reichte Tom das silberne Feuerzeug. »Das gehört Ihnen.«
Diesmal war der Wagen ein Morris Bullnose, kein Vergleich mit Davies-Franks Daimler. Der Fahrer war einer der Wachen von Hennessey Gate, blond, schweigsam, mit stechendem Blick. Die Ruhe tat Tom gut, er schloss die Augen. Sondegger sagte, das Rapids sei Earls Zuhause, wenn er nicht zu Hause war. Ein Club? Aber nicht sein üblicher, in dem nach dem Dinner im angeschlossenen Theater viktorianische Stücke aufgeführt wurden. So etwas war ihm für Earl immer als zu ruhig, zu etabliert erschienen. Ein Lokal namens Rapids klang schon eher nach ihm.
Sollte er drei Tage im Rowansea warten? In drei Tagen hatte er vielleicht Earl, den Verrat, seine Jungs auf Kreta vergessen.
Der Wagen wurde langsamer und ruckelte, Tom öffnete die Augen. Sie befanden sich auf einer schmalen Straße. Sie passierten ein verbogenes Schild mit der Aufschrift SEDGEWARE BURY. Er hatte sich auf der Herfahrt markante Stellen einzuprägen versucht – eine kahle Eiche, den Anstieg eines flachen Hügels, eine alte weiße Kirche. Er glaubte Hennessey Gate wiederfinden zu können.
Er grinste seinem Spiegelbild in der Fensterscheibe zu. Es ging ihm vieles durch den Kopf, aber was er mit Sicherheit wusste, war sehr viel weniger. Es war der 1. Dezember 1941. Früher Abend. Er musste Earl finden, und die einzige Spur war ein Nazi-Agent, der sagte, das Rapids … Sie waren in der Stadt. Auf dem Weg nach Süden. Der Bullnose hielt an einer Kreuzung. Eine Gruppe Sekretärinnen ging vorüber, sie plauderten über die Schal-Abteilung bei Jacqmar. Sekretärinnen und Kiwis – Toms Helden. Diese jungen Frauen standen während der schlimmsten Luftangriffe jeden Morgen auf und zogen die Brauen nach, trugen Make-up auf – Rouge und Lippenstift und weiß der Teufel was sonst noch –, sie wählten ein Kleid aus und einen Hut und Schuhe und
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