Schulgebäude und ein paar Schritte durch die Eingangshalle gegangen, würgte Alice wie unter groÃen Schmerzen hervor: âIst er uns gefolgt? Dreh dich mal unauffällig um.â
Katja wagte einen vorsichtigen Blick über ihre Schulter. âNein. Ich sehe ihn nicht.â
Einen Moment lang schwiegen sie, dann fing Alice an, erst leise und dann immer lauter loszuprusten. Katja konnte sich nun ebenfalls nicht länger beherrschen und stieg in ihr ausgelassenes Gelächter ein.
Als Edgar wenige Sekunden später den beiden ins Schulgebäude folgte, sah er gerade noch, wie sie lauthals lachend im C-Trakt verschwanden. Er verharrte für einen Augenblick in der Eingangstür. Regungslos, mit hängenden Schultern, verletzt und bitter enttäuscht.
âSchadeâ, murmelte er erneut.
6. Kapitel
Als Alice die Haustür aufschloss, wurde sie von einer ungewohnten Stille empfangen. Sie blieb einen Moment lauschend im Türrahmen stehen, bevor sie die Tür hinter sich zuzog. Ihr Blick wanderte zur Garderobe.
Robins Jacke hing nicht am Haken. Aber sein Sportbeutel mit dem schlammgrünen Drachenmotiv. Sie entdeckte auch seine Mütze und seinen heiÃgeliebten Hannover-96-Schal, ohne den er selbst bei hochsommerlichen Temperaturen das Haus nicht verlieÃ, und wunderte sich deshalb noch mehr.
âMama? Robin? Seid ihr da?â
Keine Antwort. Nur Stille.
âKomischâ, murmelte Alice.
Sie stellte ihre Tasche unter die Garderobe, zog ihre Jacke aus und hängte sie auf einen Bügel. Dann ging sie zu Robins Zimmertür, lauschte auch hier einen kurzen Moment, bevor sie die Klinke herunterdrückte und die Tür öffnete.
Bis auf die unzähligen Playmobilritter und Ritterburg-Bauteile, die beinahe lückenlos den gesamten FuÃboden des Zimmers bedeckten, kein Lebenszeichen von Robin.
Seufzend schloss sie die Tür und ging ins Wohnzimmer.
Auch hier keine Spur von Robin oder ihrer Mutter.
Langsam kam ihr das Ganze merkwürdig vor.
Robin besuchte die zweite Klasse der Grundschule und hatte nie länger als vier Stunden Unterricht. Deshalb war er auch immer vor Alice zu Hause. Genauso wie ihre Mutter, die nur an zwei Vormittagen in der Woche bei einer kleinen Elektrofirma im Ort als Bürokraft arbeitete.
Aber nicht dienstags. AuÃerdem war Aliceâ Mutter eine begeisterte Kleine-Zettel-Schreiberin. Wann immer irgendetwas mitgeteilt werden musste oder sie jemanden an etwas erinnern wollte, verfasste sie kleine Nachrichten auf selbstklebenden gelben Zettelchen und pappte sie gut sichtbar an den groÃen Garderobenspiegel. Manchmal auch an den Kühlschrank.
Aber auch dort fand Alice keine Nachricht vor, die ihr erklärte, wo sich ihre Mutter und ihr kleiner Bruder gerade befanden.
âWas sollâsâ, murmelte Alice. âDie werden schon wieder auftauchen.â
Sie nahm eine Flasche Apfelschorle aus dem Kühlschrank, schnappte sich ein paar Mandarinen aus dem Obstkorb und ging damit auf ihr Zimmer.
Die Luft war stickig. Alice stellte die Flasche auf ihrem Schreibtisch ab, legte die Mandarinen daneben, ging zum Fenster hinüber und kippte es. Dann setzte sie sich aufs Bett, tauschte ihre schmalen schwarzen Stiefel und die gleichfarbigen Nylonsocken gegen dunkelrote Kuschelsocken, die auf dem Boden vor dem Bett lagen. SchlieÃlich ging sie zum Schreibtisch zurück und schaltete ihren Rechner ein.
Alice setzte sich auf den Stuhl und pellte sich eine Mandarine, während sie darauf wartete, dass ihr PC hochfuhr.
Nachdem sie endlich dazu aufgefordert wurde, ihr Kennwort einzugeben, öffnete sie Outlook und rief ihre E-Mails ab.
Die erste war ein Newsletter von einem Textilhandel, und Alice fragte sich wieder einmal seufzend, wo diese Unternehmen eigentlich ihre E-Mail-Adresse herhatten. Die zweite Nachricht kam von eventim. Alice hatte dort vor knapp einem Jahr für sich und Katja Karten für ein Pink-Konzert bestellt. Seitdem bekam sie mindestens einmal pro Woche irgendwelche Hinweise auf Veranstaltungen und angebliche Topangebote. Das nervte.
Ein helles Pling verkündete, dass soeben noch eine dritte Mail eingegangen war. Alice stopfte genüsslich eine Mandarinenspalte nach der anderen in sich hinein, während sie erfreut feststellte, dass Katja die Absenderin war.
An:
[email protected] Von:
[email protected] Betreff: Nur kurz â¦
Hi SüÃe,
Deutsch war ja wieder voll ätzend, oder? Früher