Alicia II
sein.«
»Sie brauchen nicht an die Erde gefesselt zu sein. Sie können gehen.«
Sie lächelte.
»Nein, das kann ich nicht. Ich bin ein zu großer Feigling. Ich habe zu viele Pläne, und wenn ich das Leben für immer verliere, werden sie nicht ausgeführt. Merkwürdig, als man die Unsterblichkeit für uns erfand, hat niemand daran gedacht, daß sie uns in eine Welt von Feiglingen verwandeln würde.«
»Ich habe einmal ein Buch gelesen, in dem dies Thema angeschnitten wurde. Im Titel ging es um die Bewohner der Insel Manx.«
Ich gab mir alle Mühe, unschuldig und harmlos auszusehen.
Cheryl konnte sich nicht so verstellen. Sie freute sich und war ein bißchen aufgeregt darüber, daß jemand ihr Buch erwähnte, der, wie sie annahm, von ihrer früheren Identität nichts ahnte.
»Ich glaube, das Buch habe ich auch gelesen.«
»Es ist ein gutes Buch.«
»Das dachte ich damals auch.«
Vielleicht hätten wir länger über ihr Buch gesprochen, aber der gleiche Bote, der uns schon einmal aufgehalten hatte, erschien. Cheryl rief die Gruppe zusammen, sagte, die Störung sei beseitigt, und wir setzten die Besichtigung fort.
In der nächsten halben Stunde war es mir unmöglich, mich zu konzentrieren. Ich habe keine Ahnung, was wir sahen, was wir taten. Ich erinnere mich nur noch daran, daß ich mit der Gruppe dahintrabte, aufpaßte, wohin die anderen ihre Blicke lenkten, und desgleichen tat, um den Anschein zu erwecken, ich sei ebenso beeindruckt wie sie. Immerzu ging ich im Geist unsere Pläne durch. Der Stromausfall würde stattfinden, wenn wir den Sektor der Forschungslaboratorien erreicht hätten.
Laut unsern Informationen herrschte dort emsiges Hin und Her – Stacy und ich konnten uns unauffällig in der Menge verkrümeln, würden in unserer Verkleidung nicht so leicht entdeckt werden. Jetzt sah es so aus, als würden wir im Laboratoriumssektor nach der Essenspause in der Cafeteria anlangen. Unser ursprünglicher Plan setzte voraus, daß es vor dem Essen geschah. Stacy und ich hätten dann Zeit genug gehabt, uns zurück in die Cafeteria zu begeben, und vielleicht hätte man unser Verschwinden gar nicht bemerkt.
Als wir uns der Cafeteria näherten, stellte ich zu meinem Erstaunen fest, daß ich richtigen Hunger hatte. Der Gedanke an erstklassige Rippchen wurde immer verführerischer.
Gleichzeitig beunruhigte es mich ein bißchen, daß ich vor Beginn der Mission überhaupt ans Essen denken konnte.
»Ich habe Bescheid geben lassen, daß Ihre Portion nicht ganz durchgebraten sein soll«, bemerkte Cheryl, die neben mir stand. Die übrigen Teilnehmer hatten sich um ein Ausstellungsstück geschart und verwehrten mir mit ihren Körpern den Blick.
»Das ist sehr aufmerksam von Ihnen.«
»Gehört zum Service. Ich möchte, daß alles ganz so – Nancy, was tun Sie hier?«
Mir in meiner Benommenheit sagte der Name nichts, und ich fuhr zusammen, als plötzlich Alicia vor uns stand. Sie hatte ein höfliches falsches Lächeln aufgesetzt, aber ich meinte, in ihren Augen einen kritisch-boshaften Blick zu entdecken.
»Hallo, Cheryl«, sagte sie und ignorierte mich. Mir fiel ein, daß sie hier natürlich Nancy Donner war, eine Bürokollegin meiner aufdringlichen Fremdenführerin.
»Was gibt’s, Nancy?«
»Leider muß ich mir zwei von Ihren VIPs für eine Weile ausborgen. Geraghty und Stacy, welche beiden sind das?«
Sie sah über ihre Schulter auf die Gruppe, die das Ausstellungsstück betrachtete.
»Für wie lange?« verlangte Cheryl zu wissen.
»Wie lange was?«
»Für wie lange wollen Sie die beiden ausborgen? Und warum?«
»Ich habe den Auftrag, sie zu interviewen. Sie wissen schon, welchen Eindruck sie von unsern Anlagen haben und so
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