Alicia II
die meisten frisch Erneuerten zwangsläufig tun. Und außerdem war der Körper recht ansehnlich. Das Gesicht nicht zu hübsch, aber gut geschnitten. Aus der ursprünglichen Intensität des Blicks schloß ich, daß der Vorbesitzer ein gemeiner Bastard gewesen war, ein zweiter Gorman Triplett. Mir verschaffte es einen Nervenkitzel, mir selbst vorzumachen, ich hätte tatsächlich Tripletts Körper geerbt. (Eine Weile war ich verrückt, aber ich möchte nicht in Einzelheiten gehen.) Meine Haare waren dunkel und lockig, meine Augen braun, meine Nase mußte mindestens dreimal gebrochen gewesen sein.
Meine Lippen waren fleischig, und ich kann den unedlen Ausdruck, den sie meinem Gesicht geben, einfach nicht loswerden. Offensichtlich war der Körper ein paarmal verwundet worden, denn Schmerzen in der Brust kehrten immer wieder, und ich hatte Schwierigkeiten, mit meinem rechten Arm zu werfen. Ansonsten hätte ich mir keinen besseren Körper bestellen können, um darin erneuert zu werden, um mich darin zu verstecken.
Eine Weile dachte ich, der beste Zug an dem Körper sei, daß seine Geschlechtsorgane funktionierten. Ich lachte hysterisch, als ich zum erstenmal spürte, daß sich in jener Region etwas regte. Michael, der natürlich von meinem Leiden in meiner früheren Lebensspanne nichts wußte, wunderte sich über mein Lachen. Sobald ich aus dem Verhörzimmer weg von ihm war, erreichte ich endlich, was ich mir so viele Jahre lang gewünscht hatte, die Freuden des unzüchtigen Lebens. Einige Zeit war das das Einzige, was mich in Gang hielt. Ich hatte so viele Frauen, daß ich sie nicht mehr zählen konnte. Ich erwarb mir einen Ruf als Satyr. Und mir gefiel es. Es war wundervoll.
Ich konnte nicht einmal meinen Sünden, meiner Vergangenheit, meinem Verrat erlauben, mir den Genuß zu beeinträchtigen. Manchmal dachte ich an Ben und die Operationen, die er mir versprochen hatte, und es amüsierte mich. Ben hätte es bestimmt auch amüsiert. Fast konnte ich seine anspornenden Zurufe bei jedem neuen sexuellen Erlebnis hören, fast sein billigendes Nicken bei jedem Eindringen sehen.
Ich zog von Stadt zu Stadt. An jedem Ort suchte ich nur die Frauen, nur die Vergnügungen. Ich warf selten einen Blick auf das, was außerhalb dunkler Zimmer vor sich ging. Ich wollte nicht erkannt werden, wenn es auch, wie ich recht gut wußte, unmöglich war, daß mich irgendwer in meinem neuen Körper erkannte. Aber nein, das stimmte nicht. Ben würde mich erkennen. Er würde mich erkennen, wenn ich im Körper einer buckligen Fischersfrau zurückkam.
Natürlich konnte all das nicht lange dauern. Einmal mußte ich aus dem Rausch erwachen.
Immer wieder träumte ich von Stacy. Er blickte sich an dem Ort, wo ich mich gerade befand, um, starrte mich an und fragte: »Dafür bin ich gestorben?« Und dann lachte ich, und er lachte, und dann redete er darauf los und meinte, früher sei es ihm nie möglich gewesen, mir das alles zu erzählen. Wenn ich aufwachte, erinnerte ich mich nie, was er gesagt hatte.
Als er mich zu oft im Traum heimgesucht hatte, wußte ich, es war Zeit, nach Alicia zu suchen. Es genügte nicht, daß ich aus dem Rausch erwachte, ich mußte auch Alicia finden. Wie sich herausstellte, war es nicht zu schwierig. Ich fand Zugang zu radikalen Kreisen und erwarb mir ihr Vertrauen (das Vertrauen war auf drei besonders häßliche Aufgaben zurückzuführen, die ich erledigte), und dann stellte ich ein paar diskrete Fragen und folgte Alicias Spuren bis Denver. Ich hatte gefürchtet, die Informationen, die Michael von mir bekommen hatte, hätten es seinen Agenten ermöglicht, sie zu finden. Aber sie hatte ihre Alicia-Identität bereits aufgegeben und lebte
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