Alien 2: Verborgene Harmonien
überlegte, welche Auswirkungen die
Nachricht von dem vermißten Kolonistenschiff wohl auf die
Wollpreise haben würde. Miguel nickte ab und zu, sprach selbst
aber wenig. Er hatte zwar nichts gegen die Abwechslung, erfuhr selbst
aber kaum Neuigkeiten, um seinerseits den Schäfer damit
unterhalten zu können.
Warren verschwand für eine Weile, um das Fressen für die
Hunde zu jagen, und kam bald mit einem Steinbock über der
Schulter zurück. Miguel half ihm beim Ausnehmen und Zerlegen.
Nachdem er die Hunde versorgt hatte, bereitete Warren im Kessel Reis
und Trockenfleisch zu. Die beiden Männer aßen in
schweigender Kameradschaft und beobachteten dabei den Sonnenuntergang
über den Hügeln im Westen.
»Du bist der Bursche, der die Abos mag, richtig?« fragte
der Schäfer nach einer Weile und fuhr, als Miguel schwieg, fort:
»Ich erinner’ mich noch an das letzte Mal, als du durch
Fortitude kamst – vor fünf oder sechs Jahren. Vielleicht
erinnerst du dich auch noch an meine Mutter. Sie war Arzt und kaufte
dir deine Kräuter ab. Ist inzwischen tot. Krebs.« Warren
zündete zwei Zigaretten an und gab eine an Miguel weiter.
»Ich lieb diese gottverdammte Welt«, meinte er und blies
einen Rauchkringel in die Luft. »Denk nicht, daß ich
irgendwas von Erde vermissen werde, sollten sie uns tatsächlich
aufgegeben haben. Wenn die Separatisten sich durchsetzen, hab ich
vielleicht endlich mal die Möglichkeit nachzusehen, was hinter
den Trackless Mountains ist. Bist schon mal da gewesen? ’n Mann
wie du ist doch sicher schon überall gewesen, wie? Andererseits
hätt’ ich auch allmählich gern mal ’ne Familie.
Da gibt’s ’ne Frau in Fortitude, mit der würd’
ich mich sofort zusammentun. Glaub, sie hätt’ auch nix
dagegen. Ich und sie, die Hunde und ’n paar hundert Tiere –
wär schon okay, denk ich. Erde – nein, kann nicht
behaupten, ich würd’ sie vermissen.« Er tat noch einen
Zug und schnippte den Stummel in den Tümpel. »Hoffe, mein
Geschwätz stört dich nicht. Bin vermutlich schon zu lange
draußen auf ’m Land.«
Am nächsten Morgen schlüpfte Miguel leise aus der
Thermodecke, deren silbrige Außenhaut naß war vom Tau,
und machte sich auf den Weg, ohne den Schäfer zu wecken. Zwei
oder drei Hunde am niedergebrannten Lagerfeuer verfolgten seinen
Aufbruch, sagten aber nichts.
Bei Anbruch des Morgengrauens war Miguel schon einen Kilometer
weit weg und folgte der Spur der Schafherde in die Hügel.
Zwei Tage später sah er Port of Plenty vor sich liegen. Er
hatte den dichten Wald vor den Hügeln erreicht, die nach Westen
allmählich abfielen. Es war früher Abend, der Himmel, wenn
auch eine Spur tiefer, immer noch indigofarben. Die ersten Sterne
blitzten auf. Ringsum ragten die Stämme der Bäume in die
Höhe, fächerförmige Zweige wanden sich
spiralförmig an ihnen empor. Flechtenbewachsene Felsen brachen
aus dem bemoosten Boden wie die Buckel auftauchender
Seeungeheuer.
Miguel stand am Rand einer steilen Klippe, die sich über den
Windungen eines breiten Flusses erhob. Jenseits des anderen Ufers
dehnten sich neblige Salzmarschen bis zum Horizont. Hinter der
letzten Biegung, wo der Fluß sich zu einer Gezeitenmündung
verbreiterte, schimmerte von Osten ein helles Lichtfeld herüber
– aus dieser Entfernung so klein wie Miguels Daumennagel: Port
of Plenty.
Miguel spie über den Klippenrand, drehte sich um und folgte
der Baumreihe am Rand des Absturzes. Es war schon zu dunkel, um das
Tal bis zum nächsten Hang zu durchqueren, überlegte Miguel,
und dachte dabei an den blutrünstigen Säbelzahn, vor dem
ihn Warren gewarnt hatte. Trotzdem wollte er einen möglichst
großen Abstand zwischen sich und die Stadt bringen.
Nach etwa zwanzig Minuten erreichte er einen Turm, dessen
gitterartige Metallkonstruktion in einem Betonfundament verankert
war. Die Turmspitze ragte über die Kronen der Bäume hinaus.
Oben blitzte in regelmäßigen Abständen ein rotes
Licht auf. Noch zwanzig Minuten – dann war es zu dunkel, um
weiterzuwandern. Und der abnehmende Mond würde erst in ein paar
Stunden aufgehen. Miguel riskierte es, ein kleines Feuer
anzuzünden – eher aus Gewohnheit als aus Notwendigkeit
– und setzte einen Behälter mit Wasser auf. Danach streckte
er sich aus, holte den Compsim hervor und ging nochmals seine
Aufzeichnungen über die Abos durch, Wortketten, die sich vor
seinen Sehnerven entrollten und die Nacht und alles ringsum
außerhalb des flackernden Feuerscheins auslöschten.
Es
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