Alissa 1 - Die erste Wahrheit
anders, als den Pfeifer mit einem harten Blick anzustarren, »wie ist sie in diesen beklagenswerten Zustand geraten?«
Strell schlug die Augen nieder. »Ich weiß es nicht. Ich … ich bin selbst auf dem Fußboden zu mir gekommen.«
»Aha … Nun, habt ihr beiden euch heute Abend zufällig wieder einmal gestritten?« Bailic wartete ungeduldig und verdammte sich dafür, dass er die Augen des Pfeifers nach einem Schatten seines verräterischen Scharlatans von einem Vater absuchte. »Nur heraus damit«, drängte er. »Es ist offensichtlich, dass es zwischen euch ein Zerwürfnis gab. Vielleicht hat der Versuch einer Versöhnung stattgefunden, mit, sagen wir, explosivem Ausgang?«
Strell hob den Kopf und starrte ihn funkelnd an.
»Wirklich«, säuselte Bailic entzückt, »ich muss das wissen, wenn ich ihr helfen soll. Ihr wollt doch, dass ich ihr helfe, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete Strell knapp.
»Ja, Ihr wollt, dass ich ihr helfe, oder ja, Ihr habt wieder mit ihr gestritten?« Bailic richtete sich auf und genoss den puren Hass, den Strell verströmte.
»Ja, beides. Verflucht sollt Ihr sein, Bailic. Nun tut doch endlich etwas.«
»Geduld, Barde.« Er lächelte. »Eine letzte Frage, dann werde ich sehen, was ich tun kann. Habt Ihr vielleicht die Beherrschung verloren?« Bailic hielt den Atem an, während Strell unglücklich zum Kamin hinüberschaute.
»Ja. Ja, das habe ich«, sagte Strell gequält.
»Sehr gut.« Bailic biss sich auf die Zunge, um ruhig zu bleiben. »Es ist gut, dass Ihr mir das gesagt habt. Es erklärt einiges.«
Und so war es. Wie oft war das in der Vergangenheit schon geschehen: eine Tragödie, die ihm zustattenkam. Sie hatten sich gestritten, und in eifersüchtiger Wut hatte der Pfeifer unabsichtlich das Objekt seiner Begierde verbrannt und in einen Zustand versetzt, der dem Tode nahe war. Höchstwahrscheinlich war das eine unbewusste Reaktion gewesen. Der Pfeifer war sich vielleicht nicht einmal bewusst, dass er die Explosion verursacht hatte.
Starke Emotionen rufen stärkere Energien hervor, und genau aus diesem Grund wurde latenten Bewahrern eine Quelle vorenthalten, bis sie ein hohes Maß an Selbstbeherrschung erlangt hatten. Ja, das war ein heftiger Rückstoß gewesen, der von der geistigen Ebene in die physische umgeschlagen war. Er hätte eigentlich angenommen, dass nur jemand mit einer eigenen Quelle so etwas hervorrufen konnte.
Bailic wandte seine Aufmerksamkeit der jungen Frau zu. Da sie so gut wie tot war, konnte er ihre Pfade betrachten und selbst entscheiden, ob sie Bewahrerin oder Gemeine war. Es war kaum von Bedeutung, wenn ein Gemeiner verbrannt wurde. Der Schmerz war zwar genauso groß, doch wenn er verging, war es vorüber. Die Pfade von Gemeinen waren ohnehin ein unbrauchbares Gewirr. Was spielte es schon für eine Rolle, ob eine Brücke verbrannt war, wenn niemand den Fluss überqueren wollte?
Vorsichtig schob er einen Gedankenfaden in den Geist des ohnmächtigen Mädchens. »Bei allem, was heilig ist.«
»Was!« Strell beugte sich über ihn.
»Seid still, Pfeifer«, bellte er und stieß ihn fort. Er hatte nicht gemerkt, dass er die Worte laut ausgesprochen hatte. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und wandte sich zögernd wieder dem zerstörten Geist des Mädchens zu. Es war schlimmer, als er vermutet hatte. Nach der Erklärung des Pfeifers hatte er angenommen, dass sie sich nur verbrannt hatte. Doch so war es nicht. Ihre Pfade waren nichts als Asche. Der Pfeifer hatte ganze Arbeit geleistet.
Mit einem leichten Gefühl der Übelkeit im Magen betrachtete Bailic in morbider Faszination die verkohlten Überreste. Es war unmöglich zu sagen, ob er die verkrusteten Ruinen eines defekten Musters vor sich sah, das einst dazu geeignet gewesen wäre, gewaltige Energie zu kanalisieren – oder ob dies schlicht die willkürlich angeordneten Pfade einer Gemeinen gewesen waren. Der Schaden schien irreparabel. Schaudernd zog Bailic sich zurück und war froh, dass er diesen unbeherrschten jungen Mann nie wirklich zornig gemacht hatte. Bailic hätte Schwierigkeiten gehabt, einen so gewaltigen Rückstoß zu kontern, wenn er nicht vorgewarnt war. »Das hätte mich treffen können«, flüsterte er ehrfürchtig.
»Was?«, fragte Strell flehentlich, und seine Sorge war beinahe greifbar. »Was ist mit ihr?«
Bailic schüttelte seine Angst ab und sah dem Pfeifer in die bekümmerten Augen. »Sie wurde von derselben Macht zerschmettert, die Euer Fenster aus der Wand gesprengt
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