Alissa 1 - Die erste Wahrheit
hoben sich. »Das war deine Musik«, flüsterte er. Anklagend richtete sich ein dünner Finger auf sie. »Das war dein Feuer auf der Klippe, an dem Abend, als ich den Raku gesehen habe!«
Alissa blieb vor Bestürzung die Luft weg. Er war es also doch !, dachte sie. Aber das war schon mehrere Tage her. Wie um alles in der Welt hatte sie ihn überholen können? Vielleicht kam sie doch schneller voran, als sie dachte. »Wie ich sehe, hat er dich auch nicht gefressen«, sagte sie und gab sich Mühe, ihre Verwunderung zu überspielen. Bein und Asche, stöhnte sie innerlich. Das wurde ja immer schlimmer.
Strell machte ein finsteres Gesicht. Dann straffte er die Schultern und schüttelte den Kopf, als wollte er all das nicht wahrhaben. Wortlos wandte er sich ab und marschierte steif auf den Pass zu. Alissa sah ihm nach und befürchtete, dass ihr eine lange, elende Reise bevorstand. Und wie konnte jemand noch langsamer unterwegs sein als sie? Er musste länger angehalten haben, um irgendein armes Tier abzuschlachten.
Als sie sich umdrehte, um ihm zu folgen, lenkte das scharfe Klirren von Stein an Metall ihren Blick nach unten. Sie hockte sich hin und stopfte das immer noch warme Dreibein in ihr Bündel. Dann stand sie auf und pfiff scharf nach Kralle. Mit dem Rücken zur Sonne humpelte sie los, um ihn einzuholen. »He!«, rief sie. »Warte auf mich!«
– 9 –
S trell?«, keuchte Alissa. »Können wir einen Augenblick anhalten?« Erhitzt lehnte sie sich mit dem Rücken an einen breiten Buchenstamm und starrte verzweifelt in das gelbe Blätterdach hinauf. Die Blätter raschelten in der Brise, die sie aus irgendeinem Grund nicht erreichte, denn hier unten war es heiß und stickig. Ihr Bündel war unbequem und stieß bei jedem Schritt gegen ihren Rücken, und sie ließ sich an der glatten Rinde hinabrutschen, bis sie auf dem Boden landete. Strell sollte nicht merken, dass sie Mühe hatte, mit ihm mitzuhalten, aber bei den Hunden, sie fühlte sich wie ausgepeitscht.
Während einer ihrer zahlreichen Pausen gestern hatte Alissa ihn dabei ertappt, wie er kopfschüttelnd ihre Näharbeit an seinem Mantel bestaunte. Sie vermutete, dass seine Meinung über Leute, die nicht dem Tiefland zuzurechnen waren, sich allmählich änderte. Jedenfalls behandelte er sie nicht mehr wie eine lästige Bettlerin. Er begegnete ihr jetzt eher wie einer Verwandten, die nur zu Besuch kommt, wenn sie etwas will.
»Sag jetzt lieber nichts Falsches«, brummte sie leise, als er abrupt stehen blieb und umkehrte. Alissa wusste, dass ihr Gesicht rot angelaufen war und ihr höchst undamenhaft der Schweiß von der Stirn tropfte. Sie versuchte, ihre Erschöpfung zu verbergen, indem sie sich vorbeugte und ihre Stiefel fester schnürte.
Ein Paar dunkler Stiefel kam knirschend am Rand ihres Gesichtsfeldes zum Stehen. »Tut dein Knöchel weh?«, fragte Strell sanft.
Verblüfft blickte Alissa zu ihm auf. Er sah tatsächlich besorgt aus. Da sie nicht wusste, was sie davon halten sollte, schüttelte sie den Kopf. Ihren Knöchel hatte sie ganz vergessen. »Bin müde«, seufzte sie und fragte sich, ob ihre Mutter sich vielleicht zu Recht stets darüber gewundert hatte, wie schnell bei ihr alles zu heilen schien.
Strell legte sein Bündel ab und öffnete es unbeholfen mit einer Hand. Er setzte sich ins Laub, holte ein Stück Dörrfleisch heraus und bot es Alissa an. Sie wich zurück und rümpfte die Nase.
»Entschuldigung«, sagte er. »Ich dachte, das sei ein Gerücht. Die Hochländer essen tatsächlich kein Fleisch?«
»Nichts, was Beine hat.«
Strell rutschte unbehaglich herum und zog einen kleinen Ast unter sich hervor. »Warum haltet ihr dann alle Tiere?«
» Ihr esst sie.«
Strell nahm das mit einem Grunzen zur Kenntnis und schleuderte den Zweig in die Bäume, wo er klappernd im grauen Geäst landete. »Wie wäre es dann mit Käse?« Er wühlte tiefer in seinem Bündel, holte ein großes Stück hervor und brach eine üppige Portion davon ab. Diese nahm Alissa mit schwachem Lächeln an, zu müde, um etwas zu sagen. Strell, fiel ihr auf, hatte sein Fleisch weggepackt und gab sich ebenfalls mit Käse zufrieden.
»Es wäre mir lieber, du würdest es mir sagen, wenn du eine Rast brauchst«, bemerkte er vorsichtig.
»Was habe ich denn gerade getan?«
»Langsam«, erwiderte er ebenso scharf. »Du brauchst nicht gleich in die Luft zu gehen. Wenn du dich bis zur Erschöpfung antreibst, wächst die Gefahr, dass du dich dabei verletzt. Ich für meinen
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