Alissa 1 - Die erste Wahrheit
weich das braune Leder jetzt war und wie angenehm ihre Ferse genau den richtigen Halt fand.
»Und du hältst mich für abergläubisch?«, bemerkte er.
Alissa warf ihm einen strengen Blick zu, faltete ihren Mantel zusammen und zwängte ihn zwischen ihr Bündel und ihre Schlafmatte, wie Strell es ihr gezeigt hatte, damit sie das schwere Leder nicht anziehen musste. Sein Wunsch nach Frost war zwar gefährlich, aber verständlich. Es war ungewöhnlich heiß und schwül für den Spätherbst. Die Sonne war noch kaum über den Horizont gestiegen, doch die Hitze machte sich bereits drückend bemerkbar. Das Gestrüpp, durch das sie sich seit drei Tagen ihren Weg bahnten, war hoch und dicht, so dass keine kühle Brise zu ihnen durchdrang und sie nur sehr langsam vorankamen. Für eine Strecke, die einen Tag hätte dauern sollen, hatten sie nun schon drei gebraucht. Strells Abkürzung war alles andere als das.
Alissa seufzte. Sie war ziemlich stolz darauf, wie gut sie ihre Zunge volle drei Tage lang im Zaum gehalten hatte – dornige Zweige verfingen sich an ihrer Hose, Ranken stellten ihr ein Bein, doch sie verlor kein Wort darüber. Seltsamerweise hatte sie festgestellt, dass das beinahe so wirkungsvoll war, als wenn sie es Strell ständig unter die Nase gerieben hätte. Er fühlte sich geradezu schuldig und gab sich offensichtlich Mühe, ihr den Weg leichter zu machen. Doch nun, da das Gestrüpp zumindest etwas weniger dicht wurde, konnte sie nicht mehr widerstehen.
Ihr Blick fiel auf sein Bündel, und sie verbarg ein Lächeln, als ihr etwas einfiel. Vielleicht brauchte sie doch nichts zu sagen. »Strell? Dürfte ich mal die Karte sehen?« Sie blickte ihn mit großen Unschuldsaugen an. »Ich möchte diesen Pfad einzeichnen.«
Mit misstrauischer Miene holte er sie aus seinem Bündel, löste das Band und reichte ihr das zusammengerollte Leder. Alissa nahm einen scharfkantigen Stein zur Hand und kratzte den Pfad und zwei Symbole daneben auf die Karte. Dann zeichnete sie die Markierung mit einem Stückchen Kohle nach, damit sie zumindest eine Weile hielt. »So«, sagte sie und gab ihm die Karte zurück. »Jetzt stimmt sie wieder.«
»Was steht da?«, fragte er argwöhnisch.
»›Strells Abkürzung‹«, antwortete sie und beugte sich über ihre Stiefel.
Seine defensive Haltung verflog, als er sich die Karte dicht vors Gesicht hielt. »So schreibt man also meinen Namen?« Begierig strich Strell über das erste Symbol.
»Jetzt ja.«
Er dachte nach, und sein Argwohn kehrte zurück. »Du hast gesagt, Eigennamen würden genauso geschrieben wie alltägliche Wörter. Was ist das für ein Wort?«
»Das ist das Wort für Stein«, sagte sie und verbarg ihr Lächeln, indem sie den Blick abwandte. Er fuhr fort, sein Bündel zu packen, anscheinend erleichtert. »Wie in Sturschädel«, murmelte sie für sich.
»Das klingt nach fest und solide«, befand Strell, offenbar erfreut.
»Oder schwer – von Begriff«, fügte sie hinzu und grinste ihn an.
»Nein. Mir gefällt es«, erklärte er knapp und packte die Karte in sein Bündel. »Als welches Wort wird denn dein Name geschrieben?«
»Meiner?«, entgegnete sie überrascht. Es war nicht höflich, direkt danach zu fragen, aber das wusste er ja nicht. »Mein Name wird als ›Glück‹ geschrieben.«
Er nickte. »Irgendwie überrascht mich das nicht.« Er richtete sich auf und blieb stehen, stur wie ein Maultier vor dem Pflug, während sie ihre hässlichen Stiefel schnürte. Asche, dachte sie säuerlich. Es war ihr ganz gleich, dass ihre Stiefel jetzt tatsächlich besser saßen, er hatte sie ruiniert. Vielleicht war das ihre Strafe dafür, dass Kralle seinen Mantel zerrissen hatte. Es wäre sinnlos, ihm jetzt zu sagen, was sie von seinem Werk hielt. Außerdem war es schön, auch nur diesen schwachen Abglanz eines Lächelns zu sehen. Strell wirkte zwar nicht unglücklich, war aber merklich stiller geworden, seit sie ihm erzählt hatte, wie sein Großvater den flüchtigen Erfolg seiner Familie mit Strells Verbannung von zu Hause erkauft hatte.
Seltsam, dachte sie, dass eine Laune der Natur, eine unerwartete Flut, die Vorhersage der Shaduf widerlegt hatte. Für gewöhnlich waren diese unfehlbar. Doch wie konnte der Name seiner Familie nun für immer unvergesslich werden? Er war der einzige verbliebene Hirdun, und er war nicht einmal mehr Töpfer. Vielleicht war er nicht früh genug fortgegangen.
»Äh, Strell?«, begann Alissa und fragte sich zugleich, ob es ein Fehler war, das zur
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