Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
Widerspruch offenbar zappelig, doch Redal-Stan blieb unbeeindruckt. »Ich war nicht derjenige, der ihn überhaupt erst vorgeschlagen hat«, sagte Redal-Stan trocken und verwandelte Alissas Ärger damit erfolgreich in Schuldgefühle.
»Ich gehe«, flüsterte sie.
»Das sagte ich doch«, bemerkte er gedehnt. »Außerdem wird niemand außer dir ihn am Davonlaufen hindern können, wenn ihm erst klar wird, dass wir ihn zum Stadtvogt machen wollen. Connen-Neute wird euch begleiten, als offizieller Repräsentant der Feste.«
Redal-Stan erhob sich, streckte die Arme zur Decke und sah in seiner unförmigen Robe eher aus wie ein müder Tiefländer denn wie ein Meister. Er bedeutete Connen-Neute, ihrer beider Lichtkugeln vom Kaminsims zu holen. »Ich schlage vor, du schläfst noch ein wenig«, sagte Redal-Stan. »Ihr brecht kurz nach Sonnenaufgang auf.«
Alissa rührte sich nicht aus dem unbequemen Sessel weg, der irgendwie in beiden Versionen von Strells Zimmer existierte. »Ihr sagtet doch, wir hätten eine lange Nacht vor uns«, murmelte sie. »Werden wir denn nicht überlegen, wie ich nach Hause kommen kann?«
Mit wedelnden Handbewegungen scheuchte Redal-Stan Connen-Neute hinaus. Er zögerte kurz und nahm dann Lodeshs Teekanne mit. »Geh schlafen, Eichhörnchen«, sagte er im neuen Zwielicht. »Ich habe nie behauptet, dass ich zu Bett gehen würde.«
Die Tür schloss sich quietschend. »Strell?«, rief Alissa und erhielt keine Antwort. Das überraschte sie nicht. Sie kuschelte sich unter Connen-Neutes Robe, wollte das Zimmer nicht verlassen, um rasch ihr Kissen zu holen. Strell war hier. Sie würde sich nicht von der Stelle rühren, nicht einmal, um den leeren, stinkenden Fleischteller in den Flur hinauszubringen.
Alissa schloss die Augen, vor dem kalten Kamin in einem Zimmer, das nicht das ihre war, gehüllt in ein Nachthemd, das einer anderen gehörte, bedeckt mit einem Gewand, das ihr wiederum jemand anders geliehen hatte. Bestie summte ein Wiegenlied in ihrer beider Gedanken und lullte Alissa damit in den Schlaf.
– 34 –
V erflucht sollst du sein, Lodesh!«, schrie Strell, der vor Zorn und Frustration zitterte. »Ich habe mit ihr gesprochen! Ich könnte auch jetzt noch mit ihr reden, wenn du Connen-Neute nicht verschreckt hättest!«
»Ich habe mich doch schon entschuldigt.« Lodesh stand in der offenen Tür des Pfeifers. Seine Worte klangen aufrichtig, doch Talo-Toecan sah einen Hauch von Dreistigkeit – oder vielleicht Erleichterung – in seiner Haltung. Er musste sich sehr beherrschen, um auf das zunehmend taktlose Verhalten des Stadtvogts nicht drastisch zu reagieren. Beinahe hatte er den Eindruck, als sei Lodesh froh darüber, dass er die Verbindung zwischen Strell und Alissa unterbrochen hatte.
»Lodesh«, sagte Talo-Toecan und rückte auf dem unbequemen Sessel vor dem kalten Kamin des Pfeifers nach vorn. »Ich spüre die feuchte Luft heute Abend sehr.« Er zögerte. »Bitte kocht uns Tee.«
Der Bewahrer holte Luft, um zu protestieren, erkannte dann, dass man ihn bat zu gehen, wirbelte herum und stapfte davon. Die lauten Tritte seiner Stiefel verklangen. Talo-Toecan lauschte dem nächtlichen Regen, während er seine Gedanken sammelte. Strell hingegen begann erregt auf und ab zu gehen. Als Talo-Toecan seine langen, ruckartigen Schritte sah, fragte er sich, ob der Pfeifer bald den Verstand verlieren würde.
Nur wenig Luft drang durch Strells einziges, kleines Fenster herein, und es war stickig im Zimmer. Talo-Toecans Blick schweifte über die kahlen Wände und das hässliche Mobiliar. Ihm war kalt, trotz der milden Nacht. Seine Lichtkugel erschuf scharf umrissene Schatten und harte Kanten. Strells Zimmer wirkte wie eine Zelle. »Du kannst gern in den Kellern nach Dingen suchen, um deinen Aufenthalt hier angenehmer zu machen«, bemerkte er.
Strell hielt inne und blickte ihn mit einem wilden Ausdruck in den Augen an. »Wozu? Alissa ist die Einzige, die Euer Angebot, mich hier zu beherbergen, je für einen aufrichtigen Versuch der Gastfreundschaft gehalten hat.«
Talo-Toecan blinzelte und ärgerte sich über die Schuldgefühle, die Strells Worte in ihm wachriefen. Er gab es auf, in dem harten Sessel eine bequeme Haltung finden zu wollen, setzte sich auf den Boden und lehnte sich an den kalten Kaminsockel. Feiner Sprühregen wurde hereingeweht und benetzte den Pfeifer, der frustriert aus dem Fenster starrte. Talo-Toecan wollte schon einen Bann wirken, um den Regen abzuhalten, doch dann ließ
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