Alle lieben Merry
potenzielle Bedrohung angesehen hat. Sie ist daran gewöhnt, alte Leute vor Menschen zu schützen, die in betrügerischer Absicht versuchen, die Situation auszunutzen. Wahrscheinlich sieht sie in Ihnen ebenfalls jemanden, der sich nur des Geldes wegen um Charlie kümmert. Sie wäre bei Ihnen auch misstrauisch, wenn Sie nicht so unglaublich attraktiv wären.”
Merry bekam hin und wieder ganz gern Komplimente. Aber nicht von diesem Anwalt und nicht in dieser Situation. “Sie hat einfach ziemlich starre Vorstellungen davon, wie Charlene erzogen werden soll. Und vielleicht hat sie ja auch recht. Ich war nie Mutter. Aber ich verstehe nicht, warum ich Charlene etwas aufzwingen soll – zum Beispiel Disziplin –, wenn es keinen Grund dazu gibt. Und sie fordert hartnäckig, dass Charlene zu einem Therapeuten geht. Aber Lee, Charlene besteht ebenso hartnäckig darauf, dass sie das nicht will.”
Lee lehnte sich mit seiner Tasse Kaffee zurück. “Ich verstehe, was Sie meinen. Aber dabei kann ich Ihnen nicht helfen. Das müssen Sie schon alleine schaffen.”
“Danke.” Sie hätte es wissen müssen. Mr. Armani würde seinen Kopf nicht riskieren – weder um sie zu verteidigen, noch um ihr einen Rat zu geben, der nichts mit seinen finanziellen Interessen zu tun hatte. “Okay. Jetzt eine leichtere Frage. Was soll ich mit Charlies Auto machen?”
“Was wollen Sie denn damit machen?”
“Ich weiß es nicht. Ich meine, ich habe doch schon ein Auto. Ein gutes Auto, das ich mag. Aber zwei kann ich nicht fahren. Für den Fall, dass ich mich in Zukunft stärker an der Fahrgemeinschaft beteilige, die von den Eltern organisiert wird, wäre Charlies Auto besser, weil mehr Kinder darin Platz haben. Was ich also wissen muss – habe ich das Recht, Charlies Wagen zu fahren? Oder zu verkaufen? Ich frage mich, was ich tun soll.”
“Mein Gott, wenn nur alle meine Klienten so einfache Probleme hätten”, erwiderte Lee. “Machen Sie einfach, was Sie für richtig halten. Wenn Charlies Auto für Sie praktischer ist, haben Sie jedes Recht, es zu fahren. Ich kläre das mit der Versicherung. Das ist gar kein Problem.”
“Gut.” Sie hatte vermutet, dass diese Sache leicht zu klären sein würde. Aber nun rutschte sie auf dem Stuhl hin und her. “Lee, ich möchte Charlies Zimmer neu einrichten.”
“Aha. Aber warum erzählen Sie mir das?”
“Weil ich Geld dafür brauche.
“Merry, das haben wir doch schon besprochen. Sie haben ein eigenes Konto, auf das regelmäßig Geld aus Charlies Vermögen überwiesen wird. Sie brauchen nicht um Erlaubnis fragen, wenn Sie das Geld ausgeben. Sie müssen nur die Rechnungen aufheben und nachweisen können, dass die Ausgaben für den Haushalt und Anschaffungen für Charlene angefallen sind.”
“Ich weiß, Sie haben es mir erklärt.” Sie rieb sich die Schläfen. “Aber es kommt mir wie Stehlen vor.”
“Was?”
Sie hätte es sich denken können, dass Lee es nicht verstand. Neben dem Telefon in der Küche hatten sich Berge von Rechnungen gestapelt, aber es kam ihr merkwürdig vor, Geld auszugeben, das ihr nicht gehörte. Sie wusste zwar, dass sie befugt war, die Stromrechnung zu bezahlen, aber Ausgaben für etwas “Unnötiges”, wie ein neues Zimmer, waren nun einmal nicht so eindeutig begründbar wie Stromrechnungen. Eigentlich sollte sie es genießen, wie eine Prinzessin leben zu können. In Wahrheit war die Sache aber nicht so einfach. Egal, sie wollte noch einiges mehr von Lee wissen. “Nächste Frage. Kann ich eine Arbeit annehmen?”
“Aus finanzieller Sicht brauchen Sie nicht arbeiten zu gehen.” Man hörte, dass Lee der Meinung war, dass sie das Thema bereits hinlänglich besprochen hatten.
“Ich weiß, dass ich nicht arbeiten muss. Aus finanzieller Sicht. Ich widme Charlies Leben so viel Zeit wie möglich, helfe bei Schulaktivitäten und engagiere mich freiwillig, wo immer ich kann. Aber es bleibt mir trotzdem noch viel freie Zeit. Wäre es irgendwie ungesetzlich oder problematisch, wenn ich als ihr Vormund einen Job annähme?”
“Wenn die Arbeit nicht Ihre Fürsorgepflicht für Charlene beeinträchtigt, sehe ich kein Problem darin. Aber da Sie als Vormund finanziell ungeheuer großzügig bedacht wurden, wäre mein Rat … Warum haben Sie es so eilig, arbeiten zu gehen? Immer mit der Ruhe. Leben Sie sich erst einmal ein paar Monate hier ein. In der Rolle einer pflichtbewussten Vollzeitmutter machen Sie auf jeden Fall auf den Richter einen besseren
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