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mit einer Beleidigung begrüßen sollen, wahrscheinlich wäre ihm das lieber gewesen. Er hasste falsche Höflichkeit.
Er schaute über den Rand seiner Brille. »Und?«
»Und was?«
»Haben Sie’s gelesen?« Er hatte die Frage beinahe gebrüllt.
»Was gelesen?« Dann dämmerte es mir: sein Stück natürlich.
»Mein verficktes Opus - mein Meisterwerk!«
Sein Stück. Ich hatte den ersten Akt gelesen, war darüber eingeschlafen und hatte heute Morgen zehn Minuten gebraucht, die verstreut auf dem Boden liegenden Seiten neu zu sortieren. »Natürlich habe ich’s gelesen«, sagte ich nicht sehr überzeugend.
Malcolm merkte es. »Sie haben es nicht gelesen.«
»Doch. Den ersten Akt zumindest.«
»Das ist, als würde man einen Schluck Champagner trinken und den Rest wegkippen.«
»Finden Sie nicht, dass Sie etwas überreagieren?«
Er schnaubte verärgert und schüttelte den Kopf. »Sie waren zu sehr damit beschäftigt, mit ihrem Nazi zu knutschen.«
»Eher zu sehr damit beschäftigt, nach Hause zu gehen.«
»Das glaub ich Ihnen nicht.«
»Das interessiert mich nicht.«
»War klar.« Er zog sein Gesicht in Falten. Dann knallte er ein paar Schranktüren zu, damit ich Bescheid wusste. Offenbar hatten wir Streit.
»Die Hübschen gewinnen immer«, sagte er.
»Wovon reden Sie?«
»Von dem Nazi.«
»Was ist mit dem?«
»Er sieht gut aus.«
»Na und?«
»Ich wette, Sie kriegen immer die Gutaussehenden ab. Sie sind wie ein Magnet für die Männer.«
Klar. Er sollte mal Kyle kennen lernen.
»Deswegen interessieren Sie sich auch nicht für mich. Sie haben ja
all die Jungs, die sich wie Schafe um Sie scharen und ihre gigantischen Schwänze wie Zauberstäbe schwingen.«
»Sie machen sich lächerlich.«
»Sie haben es nicht gelesen.«
»Ich hab’s Ihnen schon gesagt«, erwiderte ich. »Ich habe den ersten Akt gelesen.«
»Das reicht nicht«, brüllte er mit brechender Stimme. Einige Leute blickten zu uns herüber. Es war mir ausgesprochen peinlich.
»Das war’s«, beendete er die Diskussion und holte seine Zigaretten heraus. »Es ist vorbei.«
Hatten wir Schluss? Waren wir zusammen gewesen? Ich hatte den ersten Akt seines bescheuerten Stücks gelesen und es hatte mir sogar gefallen. Was wollte er noch?
»Sie verstehen einfach nicht, wie es ist«, versuchte er zu erklären, die Stimme noch immer schrill, die Hand bereits an der Glastür. »Sich abzurackern - unbekannt, im Dunkeln. Tagaus, tagein allein. Niemand, der dich unterstützt. Niemand da, der dich auch nur mal fragt, an was du gerade arbeitest!«
Er sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen - nicht, dass das passend gewesen wäre. Was fehlte, waren die Geigen im Hintergrund. Dennoch fühlte ich mich mit jedem Moment beschissener.
»Das ist einfach unglaublich«, sagte er anklagend. »Und ausgerechnet von Ihnen ...«
»Es tut mir Leid«, entschuldigte ich mich. »Wirklich.«
»Vergessen Sie’s«, gab er zurück und hob abwehrend die Hand. »Tun Sie mir nur den Gefallen und geben Sie mir das Manuskript zurück. Ich habe nur dieses eine.«
Damit knallte er die Tür so fest zu, dass die Fenster wackelten. Alle Leute hatten uns beobachtet. Die Schicksen in der Schuhabteilung lachten hinter vorgehaltener Hand. Kunden flüchteten aus unserem Verkaufsbereich - da ging sie hin, die Frucht dieses Tages. Als ich dem Security-Mann zufällig einen Blick zuwarf, zuckte er nur die Schultern. Wahrscheinlich kannte er solche Szenen schon. Für Malcolm war auch das Kaufhaus eine Bühne - der geborene Dramatiker. Ich schlich zur Verkaufstheke und tat so, als würde ich etwas in meiner Tasche suchen.
Malcolm kam erst zwei Stunden später zurück. Ich hatte Olga gesagt, dass er mit Durchfall auf dem Klo hing. Sie hatte mir beinahe geglaubt. Als er schließlich wieder auftauchte, stakste er steifbeinig und nach Zigaretten stinkend durch den Laden. Für den Rest des Nachmittags war eisiges Schweigen angesagt. Immer wenn er mit mir kommunizieren musste, schickte er die magersüchtige Tusse aus der Wäscheabteilung, um die Botschaft zu überbringen. Sie war entzückt. Jedes bisschen Klatsch war höchst willkommen. Bald wusste jeder bei Barneys, dass »die Perser-Schlampe Malcolms Stück zerrissen« hatte.
Als meine Schicht sich schließlich dem Ende näherte, floh ich ohne ein Wort hinaus. Malcolm war ein bisschen zu weit gegangen. Während ich zu Carmis Wohnung zurücktrottete, dachte ich darüber nach, dass ich noch nie eine normale Freundschaft gehabt
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