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alle luegen

Titel: alle luegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meg Castaldo
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dass ich ihn liebte. Aber ich hatte nicht den Mut. Keiner von uns hatte es bisher so richtig ausgesprochen und ich wollte nicht die Erste sein.
    Er schlug einen anderen Weg ein, der sich tiefer in den Park hineinwand. Die Baumreihen und die sanften kleinen Hügel erstreckten sich scheinbar unendlich. Bald war der Verkehr von der Fifth Avenue kaum noch zu hören. Man konnte sich leicht verirren, wenn man nicht aufpasste. Der Gedanke machte mich direkt nervös. Wenn ich allein gewesen wäre, hätte ich mir wahrscheinlich eine ganze Reihe von unheimlichen Szenarien ausgemalt.
    »Du weißt, wohin du gehst, oder?«, fragte ich Jan.
    »Ich habe einen exzellenten Orientierungssinn«, erwiderte er lächelnd. »Ich würde niemals zulassen, dass du verloren gehst.«
    »Warst du schon oft hier?«
    »Ja, ich kann hier besser denken.«
    »Es ist so still hier.«
    »Einer der wenigen Orte«, sagte er, »wohin man flüchten kann.«
    Jan hielt vor einer Bank an. Er zündete sich eine Zigarette an und rauchte nachdenklich; offenbar ging ihm etwas im Kopf herum. Ich hoffte, dass es etwas Schönes war. Die schlechten Nachrichten der letzten Wochen reichten für die nächsten Jahre aus.
    Ich setzte mich auf die Bank und wartete, während ich meinen Schal neu um meinen Hals drapierte. Es war plötzlich kalt geworden.
    Jan blieb vor mir stehen und blickte in das Dach aus nackten Zweigen. Er war so groß, dass seine Oberschenkel sich in meiner Augenhöhe befanden.
    »Setz dich«, sagte ich.
    »Lieber nicht«, antwortete er. »Ich hab den ganzen Tag gesessen.«
    Er betrachtete die Bäume. »Die sind wahrscheinlich über hundert Jahre alt.«
    Auch ich schaute auf. »Woher weißt du das?«
    »Man kann’s einfach sehen.«
    »Findest du es nicht unvorstellbar«, sagte ich, »dass etwas oder jemand in dieser Stadt so lange überleben kann?«
    »Es ist wirklich erstaunlich«, meinte er, den Blick immer noch in den Ästen, »aber wahrscheinlich haben sie sich an den Stress gewöhnt.«
    Wenn das bei mir nur auch so gut funktionieren würde.
    Schließlich setzte sich Jan doch neben mich auf die Bank. Sein Bein drückte gegen meins. Ich spürte seine Körperwärme durch die Wolle meiner Hose.
    »Weißt du«, begann er. Sein Blick war auf den Boden gerichtet. »Ich muss bald weg.«
    Da war es also. Natürlich hatte ich gewusst, dass das irgendwann anstünde, aber ich hatte mich nie wirklich mit dem Gedanken auseinandergesetzt. Ich hatte im Augenblick gelebt und nun wurde ich plötzlich mit der Zukunft konfrontiert. Jans bevorstehende Abreise machte mir klar, dass auch ich New York bald verlassen würde. Ich hatte keine Pläne gemacht, noch nichts gepackt. Nun wurde mir bewusst, dass ich nur noch ein paar Tage hatte.
    »Früher als ich dachte«, fuhr er fort. »Dummerweise.«
    »Was heißt früher?«
    Jan warf die Kippe zu Boden und trat sie mit der Schuhspitze aus. »Übermorgen.«
    » Übermorgen ?« Warum sagte er mir das erst jetzt?
    Er schien meine Gedanken zu lesen. »Ich wollte es dir nicht früher sagen. Ich wollte uns die letzten Tage miteinander nicht verderben.«
    Es hatte funktioniert.
    »Das kommt jetzt ziemlich plötzlich.« Er zog ein Gesicht, als hätte er einen Fehler gemacht. »Ich hoffe, du bist nicht sauer deswegen.«
    »Ich bin nicht sauer«, antwortete ich. »Überrascht vielleicht, aber nicht wirklich ...«
    »Machen wir das Beste draus«, unterbrach mich Jan, plötzlich aufgesetzt fröhlich. »Was willst du unternehmen?«
    »Erst einmal aufstehen«, schlug ich vor. »Mir wird kalt.«
    Jan zog mich an seine Seite und wir gingen weiter. Es war inzwischen beinahe dunkel. Eine ganze Weile schwiegen wir beide. Was gab es auch schon zu sagen?
    Der Straßenlärm wurde wieder lauter. Wir waren wieder am Rande der realen Welt angekommen. »Hör mal«, sagte Jan plötzlich, »du hast mir noch keine Antwort gegeben.«
    »Worauf?«
    »Auf die Frage, ob du nun mit mir kommst oder nicht.«
    Jan blieb stehen. Wir standen an einer hölzernen Brücke, die sich über einen weiteren, sumpfigen Teich spannte. Der Wind hatte aufgefrischt, meine Haare wehten mir ins Gesicht. Jan streckte die Hand aus und versuchte, sie zurückzuhalten. Er sah mich mit einem intensiven Blick an, während er auf eine Antwort wartete. Ich konnte mit ihm gehen oder zurück nach Kalifornien fliegen. Eigentlich waren das die beiden einzigen Alternativen für mich. Wenn ich nicht mit Jan ginge - würde ich ihn dann je wieder sehen? Ich hatte natürlich schon darüber

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