Alle meine Schaefchen
hast du dieses Jahr gekriegt?«
»Na, du weißt doch, daß man das nicht fragen darf«, wies ich ihn zurecht. »Woher soll ich das wissen, bevor wir die Schwänze gestutzt haben?«
Ich hätte ihm mit Recht eine Abweisung erteilt. Man durfte einfach nicht das Schicksal herausfordern und die neugeborenen Lämmer in so frühem Stadium zählen. Damit mußte man warten, bis die Schwänze gekappt wurden.
Sein Bruder Matthew grinste über dessen Niederlage. »Und wie viele Schwänze möchtest du dann gern zählen, Jacky?«
Das war etwas anderes. Die Schicksalsgöttinnen würden nichts gegen eine derartige Frage haben.
»Ich würde mich freuen, wenn man etwa siebzig zählen könnte«, erwiderte ich.
Das war zwar keine sehr hohe Zuchtquote, konnte aber durchaus ausreichend sein.
Der arme Jonathon wollte seinen Lapsus damit wieder gutmachen, indem er uns etwas zu trinken holte. Während er an der Theke stand, kamen zwei Männer herein.
»Das ist er! Das ist Alfie Morris«, flüsterte Matthew hinter vorgehaltener Hand. »Der andere ist sein Bruder.«
Er verkörperte kaum den Typ eines Don Juan. Er war durchschnittlich groß, hatte starke breite Schultern, einen angenehmen, offenen Gesichtsausdruck und dunkles, graumeliertes Haar.
Sein Bruder holte die Getränke, und dann setzten die beiden sich in die Ecke rechts von dem Kamin, den wir mit Beschlag belegt hatten.
»Ihr könnt gern ein bißchen näher an die Wärme heranrücken«, sagte Jonathon zu ihnen. »Wie steht’s mit dem Lammen oben in Blacktree, Alfie?«
Matthew richtete seinen Blick entrüstet nach oben.
»Wirklich, Jonathon, eines Tages werden wir beide deinetwegen noch umgebracht.«
»Ich mein’ das doch nicht böse«, protestierte der alte Mann. »Wir kennen Alfie und auch noch seinen Vater vor ihm lange genug, um ihn ein paar Sachen fragen zu können.«
»Das macht nichts«, beruhigte ihn Alfie, aber sein Bruder runzelte die Stirn. »Am Ende der Woche werden wir wohl mit dem Schlimmsten durch sein.«
»Alles geht also glatt?«
»Alles geht so, wie ich es erwartet hatte«, antwortete der andere und lächelte. »Und wie steht’s bei dir?«
»Wenn man so alt ist wie ich, dann gleicht ein Jahr dem anderen«, sagte unser Freund zu ihm. »Ich bin schon viel zu lange dabei, als daß es dann noch Unterschiede geben könnte für mich.«
»Du lieber Himmel«, sagte Shirley. »Das ist doch wohl kaum zu glauben, Jonathon.«
»Doch, das ist die reine Wahrheit«, sagte er in vollem Ernst. »Meine Wurzeln sind schon so tief verwachsen, daß ich wie ein Baum bin... und solche Dinge laufen im allgemeinen nicht in der Gegend rum. Die bleiben schön am Platz, weil sie müssen.«
»Ich wünschte, du wärst tatsächlich ein Baum, damit ich dir mit ‘nem Baummesser zu Leibe rücken könnte«, sagte Matthew. »Dann würd’ ich ein paar von deinen spinnerten Gedanken rausschneiden, die du von Zeit zu Zeit hast.«
»Die große Liebesaffäre scheint also beendet zu sein«, sagte ich auf dem Heimweg. »Sieht ganz so aus, als hätte er die Dame seines Herzens verlassen und wäre nach Hause zurückgekommen.«
»Der Wankelmut der Männer ist ja seit langem bekannt«, sagte Shirley und gab mit dem Schuh einem Stein einen Stoß. »Immer müssen die Frauen dafür bezahlen.«
»Du hättest ja meinen Bankdirektor bezirzen können«, sagte ich.
Aber sie ließ sich nicht ablenken. »Du weißt ganz genau, was ich damit sagen will.«
»Hör mal«, sagte ich zu ihr. »Eine Frau in Katies Alter und mit ihren Erfahrungen wird nicht einfach kopflos von ihren Gefühlen davongetragen wie ein dummes Schulmädchen. Sie wußte, was ihr widerfahren könnte, da kannst du ganz sicher sein.«
»Oh, sicher wußte sie das. Sie gab alles für ihn auf: Kinder, Familie, Freunde. Und jetzt hat er sie verlassen, hat sie einsam in einer fremden Stadt zurückgelassen, wo sie keine Menschenseele kennt und nun ein neues Leben beginnen muß. Verlaß dich auf einen Mann, und du bist verlassen... wie immer.«
»Warum machst du dir darüber so viele Gedanken?« fragte ich. »Du kanntest Katie doch gar nicht gut, und Alfie hast du heute abend das erste Mal zu Gesicht bekommen. Warum hat dich das dann derart aus der Fassung gebracht?«
Sie sah mich finster an: »Du bist eben ein Mann und verstehst daher gar nichts.«
Das sah ganz nach dem Anfang einer Auseinandersetzung aus. Offensichtlich hatte sie die Sache mehr mitgenommen als mich. Ich wechselte das Thema und plauderte über andere Dinge.
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