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Alle meine Schaefchen

Alle meine Schaefchen

Titel: Alle meine Schaefchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Holgate
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Tag, an dem ich nur große Menschen treffen sollte. Mit einer Tüte Rosinen — was bestimmt falsch war, denn Shirley hatte Korinthen auf den Zettel geschrieben — trat ich aus einem Geschäft für Lebensmittel, als ich buchstäblich fast in Thomas Prees hineinrannte. Er hatte einen kleinen Bauernhof auf der Strecke nach Bridgenorth. Seine Tochter besuchte die Dorfschule und war eine von Vickys Freundinnen. Oft befanden wir uns in derselben Gesellschaft von Freunden auf Auktionen und Märkten in der Umgebung. Seine Frau war eine rundliche Person mit einem müden und geduldigen Gesichtsausdruck.
    Er überragte mich um ein Beträchtliches und war fast groß genug, um einen Schatten bis auf die andere Straßenseite zu werfen. »Was machst du denn hier?« fragte er und war offensichtlich erfreut, einem Freund zu begegnen.
    »Hab ‘n Schwein zum Schlachthof gefahren. Bist du mit deiner Familie hier?«
    »Nein, allein. Ich mußte zum Arzt.«
    Es war einige Wochen her, seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Als ich ihn jetzt etwas genauer betrachtete, erkannte ich deutlich, daß er krank gewesen sein mußte. Er machte einen müden und abgespannten Eindruck und hatte eine Menge an Gewicht verloren.
    »Was denkst du?« fragte er und versuchte zu lächeln.
    »Hast ‘n bißchen von deiner alten Kondition eingebüßt, Thomas. Vielleicht mußt du mal ‘ne Wurmkur machen. Was hat der Doktor gesagt?«
    Der große Mann zuckte die Achseln. »Wie sagen die doch immer: >Mr. Prees, Sie sind nicht mehr so jung wie früher. Sie müssen sich mehr schonen<. Der dumme Bursche! Was glaubt der denn, wer auf unserem Hof die Arbeit macht, wenn nicht ich?«
    »Vielleicht solltest du dir jemand als Hilfe besorgen?«
    »Und womit soll ich den bezahlen? Du kennst doch meinen Hof. Der hält so gerade mich, meine Frau und die Kinder über Wasser, und darüber hinaus bleibt wenig übrig. Der Sohn wird nächstes Jahr aus der Schule kommen, wenn ich bis dahin durchhalte, kann er dann mit zupacken.«
    »Er ist sehr groß für sein Alter«, sagte ich. »Wenn er erst ausgewachsen ist, wird er dich eingeholt haben.«
    Wir gingen nebeneinander her.
    »Und wie bist du heute in die Stadt gekommen? Mit dem Auto?«
    »Nein, die verfluchte Kiste hat den Geist aufgegeben. Ich bin mit dem Bus gekommen.«
    »Ich hab’ den Kleinlaster dabei, soll ich dich mit zurück nach Haus nehmen?«
    Mein Angebot hob ein wenig seine Stimmung. »Das würde ich gern annehmen, wenn’s kein großer Umweg für dich ist. Ich hab’ keine große Lust, hier noch zwei weitere Stunden rumzuhängen.«
    In der Nähe des Parkplatzes, wo ich das Auto abgestellt hatte, gab es ein kleines Café. Wir gingen hinein, um einen Tee zu trinken.
    »Kopf hoch, Thomas«, sagte ich. »Es gibt Schlimmeres. Zumindest hat er doch nichts Bösartiges gefunden.«
    »Wie Krebs? Nein, ich hab’ auch nie angenommen, daß das der Grund sein könnte. Es ist in etwa das, was ich vermutet hatte.«
    Er schwieg und machte ein ernstes Gesicht.
    »Was hast du denn vermutet?«
    Er gab mir keine direkte Antwort.
    »Du gehörst noch nicht sehr lange zur Landwirtschaft, Jacky. Bei mir ist das was anderes, ich wurde auf unserem Hof geboren, ebenso mein Vater, Großvater und Urgroßvater, und wahrscheinlich kannst du noch mehrere Generationen so zurückverfolgen mit dem gleichen Schicksal.«
    Aufmerksam wartete ich, daß er weitersprach. Es geschah nicht sehr oft bei Männern dieses Schlages, daß sie >ihre Maske fallenlassen<.
    »Es ist, als ob... Du weißt doch, was man tun muß, um eine Herde gesund zu halten?«
    »Die alten Tiere aussondern und mit jungem Blut die Herde auffrischen? Aber was hat das mit dir zu tun?«
    »Du verstehst ganz gut, was ich damit sagen will; tu nicht so, als wäre das nicht der Fall.«
    Die Bedienung hatte etwas Tee in meine Untertasse schwappen lassen. Ich goß ihn in die dicke weiße Tasse zurück, ohne Thomas anzublicken.
    »Also?« fragte er.
    »Du hast lediglich Depressionen, Thomas. Wenn man so was sagt, dann macht man sich bereit abzudanken, das ist dumm. Du bist stark wie ein Stier. Man hat mir erzählt, daß in dieser Gegend es keiner mit dir aufnehmen konnte, wenn es um harte Arbeit und um Ausdauer und Kraft ging.«
    Das stimmte tatsächlich. Eines Tages hatte Tall Stan, der selber über ein Meter neunzig groß war, in der Caféteria am Markt davon gesprochen, wie er und Thomas als junge Männer sich darüber gestritten hatten, wer von ihnen beiden Gerstesäcke von einem Wagen

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