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Alle meine Schuhe

Alle meine Schuhe

Titel: Alle meine Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hepburn Lucy
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ihnen offenbar beigebracht hatte: »Wir freuen uns sehr, dich kennenzulernen, Amy.« Dann schwiegen sie verlegen und schielten zu ihrem Vater, um herauszufinden, wie es jetzt weiterging.
    Amy hatte erwartet, Püppchen in Tutus vor sich zu haben oder zumindest in schneeweißen Spitzenkleidchen, mit Bändern in den wunderschönen Ringellocken und Schleifen an den hübschen Söckchen. Sie hatte an rote Lackschuhe gedacht, preisverdächtigen Charme und entzückende Manieren. In einem schlaftrunkenen Moment im Flugzeug hatte sie sich sogar gefragt, ob die beiden vortreten und ihr die Hand reichen oder ihr die Wange für einen Kuss bieten würden.
    Stattdessen standen da zwei kleine blonde Mädchen mit abgewetzten Jeans, Sneakers und einem schelmischen Lächeln im Gesicht. Anna, die Sechsjährige, war einen ganzen Kopf größer als ihre Schwester und das exakte Abbild ihrer Mutter. Sie hatte die gleichen großen blauen Augen und diese lässige Anmut. Ähnlichkeit mit Sergei suchte Amy vergebens. Doch da flüsterte Anna ihrer Schwester etwas ins Ohr und wies mit dem theatralisch ausgestreckten Arm in Richtung des Schlosses – eine für Sergei so typische Geste, dass Amy sich beherrschen musste, um nicht laut loszulachen.
    Die kleinere, Katya, hatte die gleichen Augen wie Amy. Unglaublich große haselnussbraune Augen in einem süßen runden Gesichtchen, das lockige blonde Haar zu einem Zopf gebunden. Amy schaute die beiden an und dachte: Kein Zweifel, ihr beiden kleinen Wesen seid meine Schwestern. Wie auch immer es jetzt weitergeht, mein Leben wird nie wieder so sein wie zuvor.

32. Kapitel
    D eine Mutter war sechs Jahre älter als ich.« Sergeis Blick war in die Ferne gerichtet, während er Amy die ganze Geschichte erzählte. »Es war mein Ernst, als ich dir vor ein paar Wochen in der Oper erzählte, dass sie mich bemutterte – so war sie immer, kümmerte sich um jeden und dachte immer erst an die anderen und an sich selbst zuletzt.«
    Lisa brachte gerade Anna und Katya ins Bett. Zuvor hatte es ein verspätetes Abendessen mit viel Lärm gegeben. Die Kinder hatten jede Ermahnung ihrer Eltern ignoriert, sich ums Essen gestritten und sich für das entstandene Chaos lautstark gegenseitig beschuldigt. Sergei Miskov – bewunderter, verehrter, weltbekannter Choreograph – war wie Wachs in den Händen seiner geliebten Töchter, strahlte und zuckte abwechselnd mit den Schultern über deren Benehmen und überließ es Lisa, streng zu sein (soweit man das so bezeichnen konnte). Lisa bemühte sich jedenfalls sehr, dass ihre Mädchen mehr von dem Essen in den Mund steckten, als auf ihrer Kleidung verteilten.
    »Ja, ich erinnere mich, dass du das gesagt hast.« Amy zog ihre nackten Füße unter sich aufs Sofa und nippte an dem Brandy, den Sergei ihr eingeschenkt hatte. Sie hätte ihn gerne mit Cola gemischt, hatte sich aber nicht getraut nachzufragen.
    Hoffentlich bekomme ich keinen Schluckauf. Das wäre ja so was von peinlich.
    »Ich stand ganz am Anfang meiner Ballettkarriere und die große Hannah Powell war bereits eine Legende. Schon bevor wir uns begegneten, habe ich sie vergöttert. Ich hätte im Traum nicht damit gerechnet, dass sie sich für mich interessieren könnte – einen jungen, russischen Parvenü, der gerade erst in London eingetroffen und – wie heißt es doch – verknallt war?«
    »Verknallt zu sein kann sehr viel Spaß machen«, sagte Amy geistesabwesend. Ein Bild von Jack Devlin hatte sich schamlos vor ihr geistiges Auge geschoben und ließ sie erröten.
    »In diesem Fall hat es keinen Spaß gemacht – jedenfalls nicht am Anfang.« Sergei saß auf dem Sofa ihr gegenüber. Er beugte sich vor und sah Amy ernst an. »Es hat mich aufgefressen. Ich habe jede Sekunde des Tages an sie gedacht.«
    Amy senkte den Blick. Sie wusste verdammt genau, wie sich das anfühlte, diese herrliche, allumfassende, süße Qual … nur daran zu denken, ließ ihr Herz schon unruhig schlagen.
    »Mhm«, war alles, was sie dazu sagte.
    »Du kannst dir vielleicht vorstellen, wie ich mich fühlte, als ich wenige Monate später als Tanzpartner für sie ausgewählt wurde. Ich war der glücklichste Mann auf Erden. Sie näherte sich gerade dem Höhepunkt ihrer Karriere, und ich spürte sehr genau die Verantwortung, die mir damit zukam. Ich war wild entschlossen, sie nicht zu enttäuschen.«
    »Und das hast du auch nicht!« Amy lächelte. »Hat dir der Daily Telegraph nicht in einer Beurteilung sechs Sterne verliehen, obwohl es überhaupt nur

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