Alle Menschen sind sterblich
Händenschwenkend, sprach Carlier zu den Indianern in ihrer eigenen Sprache und in gewinnendem Ton. Ich verstand nicht, was sie antworteten. Seit langem schon schien mir jedes Bemühen vergeudet, und so hatte ich auch versäumt, die Sprache der Eingeborenen zu erlernen. Bald ließen die Schreie der Indianer nach, sie forderten uns durch Zeichen auf, zu landen, und kamen uns ohne eine Spur von Feindseligkeit entgegen. Sie trugen Kleidungsstücke aus buntgefärbtem Hirschleder mit einer aus den Borsten des Stachelschweins gefertigten Bordüre. Während wir an Land gingen und unsere Boote verankerten, besprachen sie sich untereinander. Endlich trat einer von ihnen an Carlier heran und sprach lebhaft auf ihn ein.
«Er will uns zum Häuptling führen», sagte Carlier. «Folgen wir ihm also. Aber laßt euch durch nichts verleiten, die Flinten wegzulegen.»
Der Häuptling saß auf einer Binsenmatte mitten auf dem Dorfplatz. Er trug sechzehn echte Perlen in jedem Ohr und andere an den Nasenflügeln. Vor ihm standen zwei ausgehöhlte Steine mit Tabak, und er rauchte eine mit Federn geschmückte Pfeife. Er nahm die Pfeife aus dem Mund und forderte uns durch eine Handbewegung auf, uns gleichfalls niederzusetzen. Carlier breitete vor sich die Geschenke aus, die er vorbereitet hatte, und der Häuptling lächelte nicht ohne Wohlgefallen. Sie fingen zu sprechen an. Ein Mann von der Besatzung übersetzte mir mit gedämpfter Stimme, was sie sagten. Carlier erklärte, daß er den Fluß bis zum Meer hinunterschiffen wolle, und der Häuptling zeigte sich sehr ungehalten über diesen Plan; er sagte Carlier, er werde sehr bald zu einem anderen Strom gelangen, der, durch plötzlich auftretende Sturmschnellen versperrt, mit starren Felsen durchsetzt und durch Baumstämme behindert, die in rasenden Wirbeln umhergetrieben würden, unmöglich zu befahren sei; an seinen Ufern wohnten wilde Völkerschaften,die uns mit Kriegsbeilen angreifen würden. Carlier betonte mit Entschiedenheit, daß ihn nichts daran hindern werde, seinen Weg fortzusetzen. Der Häuptling führte wiederum weitausholende Reden, doch Carlier blieb unverändert fest. Mit dem Anflug eines Lächelns endete der Häuptling:
«Wir wollen morgen weiter darüber reden», sagte er. «Die Nacht bringt Rat.»
Er klatschte in die Hände. Seine Leute brachten große Schüsseln voll Reis, gekochtem Fleisch und Mais herbei, die sie vor uns stellten. Wir aßen schweigend von Schalen aus glasiertem Ton; dann ließen sie Kalebassen mit einem alkoholischen Getränk unter uns kreisen, doch fiel mir auf, daß der Häuptling uns nicht seine Pfeife anbot.
Gegen das Ende des Festes begannen ein paar der Indianer auf Trommeln zu schlagen und mit Steinen gefüllte Kürbisflaschen heftig hin und her zu schütteln. Bald fingen alle zu tanzen an, wobei sie die Tomahawks schwangen. Der Häuptling rief ein paar Worte, zwei Männer traten aus einer Hütte hervor und brachten auf ihren Schultern ein zwar lebendes, aber vom Kopf bis zum Schwanz mit feinen Schnüren gefesseltes Krokodil herbei. Im gleichen Augenblick nahmen die Musik und die Tänze an Heftigkeit zu. Staunend sah ich, wie die Indianer das Tier an einem hohen, rot angestrichenen Pfahl am anderen Ende des Platzes befestigten. Der Häuptling stand auf, trat feierlich an den Pfahl heran, nahm ein Messer aus seinem Gürtel und stach dem Tier die Augen aus; dann nahm er wiederum Platz. Unter fürchterlichem Geschrei begannen darauf die Krieger lange Streifen Haut aus dem Körper des lebenden Tieres zu schneiden. Dann durchbohrten sie es mit Pfeilen. Carlier und seine Männer waren blaß geworden. Der indianische Häuptling rauchte seine Pfeife mit unbewegter Miene.
Ich hob die Kalebasse an den Mund, die mir einer der Wildenreichte, und trank einen tüchtigen Schluck. Wohl hörte ich die Stimme Carliers, der uns befahl: «Trinkt nicht.» Aber alle tranken. Er selber feuchtete kaum seine Lippen an. Der Häuptling sprach in befehlendem Ton mit ihm, doch er lächelte nur. Als die Kalebasse wieder zu mir kam, trank ich in großen Zügen. Das Geräusch der Trommel, das Geheul der Indianer, ihre verzückten Tänze, die Seltsamkeit des Schauspiels, das sich meinen Augen bot, dazu dies Feuerwasser, das mir brennend durch die Kehle rann, brachte mein Blut in Wallung und änderte seine Farbe. Ich glaubte selber ein Indianer zu sein. Sie tanzten; von Zeit zu Zeit warf einer seinen Tomahawk nach dem roten Pfahl, an dem das Krokodil befestigt war, und
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