Alle Orte, die man knicken kann
besichtigender Berliner Politiker vor Ort feststellte, «das ist gut so».
Peru
N iemand weiß genau, warum die Inka dieses Städtchen vor fünfhundert Jahren verließen. Möglicherweise wollte der angebetete Sonnengott ihnen partout nicht scheinen. Das tut er auch heute nur selten. Vielleicht kamen die Gebäude ihnen unpraktisch vor und die ewigen Treppen zu mühsam. Beides trifft zu. Damals flohen ein paar hundert Leute aus dem öden Ort. Heute besuchen ihn jedes Jahr mehrere Millionen und fragen sich, weshalb eigentlich. Hier sind die Gründe.
Warum man unbedingt hinmuss
Weil es in Peru liegt. Jeder hat mal von korrupten Ländern gehört. Hier ist der Prototyp. Man muss ihn erleben. Bislang haben alle Präsidenten Perus zuerst milliardenschwere Konten in der Schweiz angehäuft und sind dann winkend außer Landes gegangen. Bis heute gilt die Regel: Wer gewählt ist, darf das Volk schröpfen. Gern mit Hilfe seiner Familie und Freunde, die auch beteiligt sein wollen. Beamte müssen, bevor sie handeln, zünftigbestochen werden. Polizisten nehmen selbst bei Mord Ermittlungen erst auf, wenn sie mit Dollars motiviert werden. Auf der Straße stoppen sie lieber sexy Passantinnen, als den Straßenraub vor ihren Augen zu beachten. Das ist großzügig und hat Stil. Man nennt es
la vida loca
, das lockere peruanische Daseinsgefühl. Man muss es erlebt haben.
Weil Lima der Ausgangspunkt ist. Wer nach Machu Picchu will, wird in Lima zwischenlanden. Die Stadt ist mit sechs Millionen Desorientierten chronisch überfüllt und chaotisch. Gerade deshalb macht der Straßenverkehr Spaß. Taxis ohne Taxameter und bremsfreie Kleinbusse machen Jagd auf Fußgänger. Die Zebrastreifen heißen bei den Einheimischen Todesstreifen, weil Passanten sich dort besonders einfach erlegen lassen. Menschenopfer gehörten von jeher zu den peruanischen Riten. Leichen, Müll und Altöl werden in den Fluss Rimac entsorgt, in dem auch die Wäsche gewaschen wird. Weil Klospülungen nicht funktionieren, hinterlassen Bürger ihre Ausscheidungen an Straßenecken und Durchgängen. Die gelblichen Schwebstoffe belasten die Schleimhäute? Von den Einheimischen lernen und ausrotzen.
Weil es so viele andere Dumme gibt. Der einstündige Flug von Lima bringt Touristen aus Amerika, Japan, England und Deutschland auf dreieinhalbtausend Meter nach Cuzco, ehemals Hauptstadt des Inkareiches. Hier werden sie genötigt, Mauern zu fotografieren, die von der Tourismusbehörde als «echt Inka» ausgegeben werden, und klobige Quadersteine, die als P R-Maßnahme zum «Sonnentempel» umgewidmet wurden. Ein nahes Tal ist vor einigen Jahren zum «Heiligen Tal» ausgerufen worden. Gewöhnliche Terrassen zum Gemüseanbau werden zu antiken Kultstätten hochgejubelt. Die zahlenden Besucher fotografieren. In der Höhenluft fällt ihnen mit dem Atmen auch das Denken schwerer. Und die Apathie der Bewohner steckt an.
Weil es Erinnerungen an Las Vegas weckt. Per Bahn geht es von Cuzco über Ollantaytambo in das Touristendorf Aguas Calientes unterhalb von Machu Picchu. Dorthin fahren rumpelige, überteuerte Backpackerzüge, rumpelige und noch teurere Vistadomezüge (mit zugestaubtem Panoramadach) und rumpelige, extrateure Luxuszüge, in denen Popmusik, Cocktails und indianische Ponchos angeboten werden. Aguas Calientes besteht aus Hotels, Spielkasinos, Fast-Food-Restaurants, Internetcafés, Bars und dem Machu-Picchu-Ticketbüro. Wer in Cuzco noch nicht sein Machu-Picchu-Shirt, den echten Archäologenhut und den originalen Inka-Goldschatz erworben hat, muss es hier tun, sonst können die Straßenverkäufer sehr ungemütlich werden.
Weil die Wirkung magisch ist. Für die Enttäuschung so vieler Machu-Picchu-Besucher hat die peruanische Tourismusbehörde eine Reihe von Gründen ermittelt. Erstens ist die Anlage live lange nicht so eindrucksvoll wie auf den überarbeiteten Prospektfotos. Sie wirkt beim Durchschreiten eher wie ein verlassenes Dorf englischer Minenarbeiter. Zweitens herrscht auf dem kleinen Hügel mit seinem Besucherstrom von zwei- bis dreitausend Touristen täglich eine Art Basargedränge. Drittens gibt es erheblich mehr Treppenstufen, als die Abbildungen ahnen lassen, nämlich ungefähr dreitausend. Eine Agentur hat den Guides deshalb werbewirksame Magie verordnet. Die Führer erklären jetzt, an diesem Tor aus Steinblöcken vibriere eine besondere Energie, aus jener Wand ströme heilsamer Magnetismus, aus der Brunnenmauer pure Lebenskraft. Wenn die Inka schon
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