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Alle Tage: Roman (German Edition)

Alle Tage: Roman (German Edition)

Titel: Alle Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terézia Mora
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man nicht. Sein Rücken in der Seitenstraße, seine hellen Hosen mit Schlag blitzten in der Sonne. Oder vielleicht habe ich es geträumt. Schau nach vorne, sagte Mira zu Abel, sonst wird dir wieder schlecht.

    Bora meint, es muss sich um Sekunden gehandelt haben. Es tut mir sehr Leid. Das Letzte, was sie von ihm gehört hat, ist, dass er mit vierzig anderen in einer Werft in Frankreich angeheuert habe, aber das ist schon Jahre her, und wer weiß, ob es überhaupt stimmt. Er versteht nichts vom Schiffbau. Nicht, dass ich wüsste. Andererseits. Alles ist möglich. Andor, das Waisenkind mit den zwölf Müttern. Nacheinander und teilweise gleichzeitig.
    Sie schaut sich den Jungen an: hochgewachsener Neunzehnjähriger, etwas dürrer, blasser und zerzauster als sonst üblich. Man sieht ihm die zurückliegende zwölfstündige Zugfahrt an, und, nicht genug, er hat auch diesen Geruch angenommen, den Geruch des Zuges, er wird ihn nie wieder ganz loswerden. Er hat die Augen des Vaters, die hier in der Dunkelheit schwarz wirken, aber Bora weiß, dass sie in Wirklichkeit die Farbe eines wütenden Himmels haben: Lila und Grau. In seinen Zügen, verschlafen, schimmert die Mutter durch, aber entscheidend ist jetzt schon etwas anderes, von dessen Existenz er gar nichts weiß, das Bora aber umso besser kennt. Dieses Es-gibtkein-Wort-dafür, diese Provokation , die er ausstrahlt, die in jedem, dem er begegnet, eine Nervosität weckt, den Zwang, mit ihm zu tun haben zu wollen, auf die eine oder andere Weise.
    Solange er zu zweit war , kam diese, nennen wir es: Fähigkeit nicht zum Tragen. Der Andere schirmte ihn ab. Vielleicht war er auch noch zu jung. Aber nun, sagte Vesna nach dem Dessert, ist er ein Mann. Schon während der ersten einsamen Zugfahrt waren wie auf Knopfdruck alle Augen auf ihn gerichtet. Er bemühte sich, beim Fenster hinaus zu schauen, aber bei uns kannst du machen, was du willst, lesen (nur ein Beispiel), ausgeschlossen, dass man dich in Ruhe lässt. Nette Leute, Mitreisende, besonders ältere, sprachen ihn vertraulich an: Wer bist du, mein Junge, wo kommst du her, wo gehst du hin? Sich, die natürlich vorhandene Schüchternheit zweckmäßig noch etwas übertreibend, jedoch stets höflich, von der Wahrheit zur Lüge vorarbeiten: Aus S. Unterwegs zu Verwandten. Einer Tante .
    Ach so? fragte der Mann in Zivil. Es war schon das zweite Mal in demselben Zug, dass er kontrolliert wurde. Mittlerweile hätte jeder im Wagen die Geschichte genauso gut erzählen können. Ach so? fragte der Mann in Zivil. Wie heißt die Tante und wo wohnt sie? - - - Was ist? Hat er die Frage nicht verstanden? Er wird sich ja wohl einen Namen und eine Adresse ausdenken können.
    Jetzt lassen Sie den Jungen schon in Ruhe, sagte die alte Frau vis-à-vis nach dem dritten Mal. Er hat gerade Abitur gemacht, ich kenne ihn, ein braver Junge, jetzt lassen Sie ihn schon zu seiner Tante fahren.
    Der Zivile schaute sich seinen Ausweis genau an und dann noch einmal ihn, als wollte er sich dieses Gesicht ganz genau einprägen. Als er endlich weggegangen war, schenkte die alte Frau Abel ein Stück Schokolade: Wie heißt du, mein Junge? - - -
    So ging es, so wird es in Zukunft allen gehen: Lieben oder töten. Bei Bora ist es Ersteres. Irgend eine Familie gibt es sicher irgendwo, sagt sie tröstend, aber während sie es noch sagt, ist sie schon so eifersüchtig, dass ihr die Stimme wegknickt. Sie will diesen Jungen behalten, sie, sie, sie. Auf der Stelle an sich binden, ihn pflegen, ihm helfen, für ihn handeln, ihn … Das ist doch verrückt.
    Abel schüttelt den Kopf.
    Danke, er will nichts essen.
    Trinken?
    Immerhin, da nickt er. Sie sitzen am Küchentisch, er mit der Tür im Rücken, sie gegenüber. Sie trinkt Wein, er Wasser und Schnaps. Es wird Abend. Komisch, denkt Bora, dabei ist doch gerade erst Morgen gewesen. Sie ist immer noch barfuß, der Alkoholtropf in ihrem Magen gibt feine Dosen Wärme ab. Der Junge auf dem Stuhl gegenüber rührt sich nicht. Ich stell’ den Boiler für dich an. Hat er genickt, oder nicht? Sie setzt sich wieder hin. Die Geräusche des Abends. Nachbarn, Gänge, Schuhe, Schlüssel. Lichtschalter, Wasser, Blumentöpfe. Katzen, Tauben, ein Kind weint, ein Kinderlied. Ein schlecht eingestelltes Radio, populäre Klänge, reichlich ohne Bässe. Die Straßenlaterne vor dem Haus, die klirrend angeht. Autos, Autotüren, Flüche, Fußgänger. Frauen, Männer. Die Gittertür des nahen Lebensmittelgeschäfts. Ein Bohrer, ein aufgehendes

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