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Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Titel: Alle Toten fliegen hoch: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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Vorausscheidungen für die erste Mannschaft beginnen.
    Mein Stundenplan sah so aus:
    Erste Stunde: Bergsteigen. Rockclimbing bei Jason Hepper, einem naturverbundenen, drahtigen Waldschrat, der am Wegesrand Pflanzen abriss und einfach aufaß. Wo er wohnte, wusste keiner so genau. In seinen Haaren sah ich hin und wieder Rindenstückchen oder Pflanzensamen. Um sechs Uhr morgens wurde ich von einem Bus abgeholt und in die Rocky Mountains gefahren. Diesen Bus konnte ich durch mein Fenster auf dem Highway kommen sehen, weit entfernt, winzig. Einen dieser typisch gelben amerikanischen Schulbusse. Ich stand auf, ging, Don schlief immer lange, unter die Dusche, packte meine Sachen, frühstückte meine Knusperwaffeln, und wenn ich das Haus verließ, dauerte es nicht mehr lange und der Bus kam, hielt direkt vor unserem Haus und nahm mich mit. Eine Stunde lang fuhren wir auf immer enger werdenden Straßen in die Rocky Mountains hinauf. Während wir darauf warteten, dass die Felsen in der Sonne trockneten, gab es Frühstück. Dreieckige Sandwiches mit Truthahnfleisch. Ich weiß, dass das auf diese Weise zerteilte Sandwich heute jeder kennt. Aber damals schien mir diese Art, ein Toastbrot durchzuschneiden, wie eine Offenbarung. Ich kannte nur Toastbrot getoastet, einfach mit Butter und Schinken oder mit Marmelade. Aber das Toastbrot nicht zu toasten, sondern weich und weiß zu lassen, und nicht nur zwei Brotscheiben aufeinanderzulegen, sondern drei, und das Ganze dann nicht einfach in der Mitte durchzuschneiden, sondern eben von einer Ecke zur anderen, zu zwei dicken Dreiecken, das war eine Verheißung, dass alles durch ganz wenig ganz anders sein konnte. Mir kam mein ganzes bisheriges Leben viereckig vor und nun endlich, endlich sollte sich etwas ändern. Durch einen einfachen aber jegliche Form verändernden Schnitt.
    Jason Hepper kletterte flink wie ein Streifenhörnchen, ungesichert!, den Felsen hinauf. Oben, für uns nicht sichtbar, befestigte er mehrere Seile und warf sie hinab. Jedes Mal, bevor er das tat, rief er laut »Rope!« und ein Seil fiel vom Himmel. Es gab viele verschiedene Klettersteige unterschiedlichen Schwierigkeitsgrads. Dieses Klettergebiet hieß Vedauwoo. Wir bekamen jeder eine Broschüre, die Hepper selbst verfasst hatte, in der sämtliche Klettersteige, die sogenannten »routes«, verzeichnet waren. Der Name Vedauwoo war indianischer Herkunft. »That means«, sagte Hepper, »earth born spirit.« Die Namen der Klettersteige begeisterten mich. Sie hießen Existential Dilemma, Fat Man’s Demise, Silver Surfer, Best of the Blues, Beef Eater oder Spider Gold. Im Benutzen dieser Namen fand meine Aufbruchstimmung erste Trittsicherheit. Hepper: »Hey, which route do you wanna try?« Ich: »I think I try Cat’s Cradel.« Hepper: »Good choice, my friend! Tape your hands, Cat’s Cradle has got some sharp feldspar crystals.« Die einfachen Aufstiege mit der Wertung 5.0–5.5 hießen »Sunny Day« oder »Easy Lie Back«. Die schwersten, fast unbezwingbaren, Wertung 5.12, der Fels war glatt und senkrecht, hießen »Nitrogen Narcosis« oder »I’d Rather Be In Philadelphia«. Wenn ich einen der leichteren Aufstiege bewältigt hatte, kam die Belohnung: das Abseilen. Wie der Soldat einer Eliteeinheit an einer Hochhausfassade drückte ich mich mit den Beinen vom Felsen weg, ließ das Seil durch die Metallacht an meinem Gurt gleiten und hüpfte an der Steilwand hinunter. Einige der Schüler waren exzellente Kletterer. Hingen nur am Zeigefinger an einem Übersprung und griffen sich mit der anderen Hand in das Talkumsäckchen am Rücken.
    Zweite Stunde: Deutsch. German bei Donna Candalaria. Das erste Mal in meinem Leben Klassenbester. Das Deutsch der Deutschlehrerin war erbärmlich. Wir lernten Gedichte bei ihr. Sie liebte deutsche Gedichte. »Was reitet so spat durch Nacht und Wind«. Oder sie rief: »Und jetzt alle! Walle, walle manche Strecke, dass zum Zwecke Wasser fließe«, und die Klasse, die Hälfte davon Kaugummi kauend, leierte: »Waali, waali manchaa Strakka, daas zum Zwakka Waaser fliiese.« In den Tests schnitt ich immer mit »sehr gut« ab. Ich war immer schlecht in der Schule gewesen. Das fragwürdige Zustandekommen meiner Bestnoten hier war mir schnuppe. Ich liebte es, Sätze wie diese zu schreiben: »Peter kauft sich ein Buch. Gabi kauft sich auch ein Buch. Peter und Gabi haben zwei Bücher. Im Garten steht ein Baum. Sie lesen unter dem Baum in ihren Büchern. Am Abend gehen sie ins Haus.« Solange ich

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