Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
bettelte: »Noch weiter, o Ehrwürdiger, belehre mich!« Den alten Indern war es immer um die allerletzten Dinge gegangen. Manas, Prâna und Samsâra. Um mal einfach eine spannende Geschichte aufzuschreiben, über eine Bande von Kameldieben meinetwegen, hätte sich in Indien keiner hingesetzt und zum Meißel gegriffen oder zum Papyrus oder was die da benutzt hatten. Vom Diesseits waren die Inder bedient, das merkte man ihren Erzählungen an. Die Inder wollten zur Fülle der Gottheit emporsteigen, aber wozu gab’s denn überhaupt das Diesseits, wenn man sich dazu gekniffen fühlen sollte, möglichst bald davon erlöst zu werden? Dann hätte die Gottheit, um die es da ging, die Welt doch gar nicht erst zu erschaffen brauchen, sondern besser gleich alles beim alten gelassen. Was immer das gewesen sein mochte.
Ich hatte jedenfalls mehr Lust dazu, mich im Diesseits zu amüsieren, als mein Leben lang im Staub vor einem ehrwürdigen Meister herumzukriechen und dessen Sprüche nachzubeten. Das konnte doch nun wohl echt nicht der Sinn sein.
»They never come back«, sagte Volker, als Muhammad Ali abermals gegen Leon Spinks antrat, doch siehe da: Muhammad Ali eroberte sich seinen Weltmeistertitel zurück, mit einem Punktsieg nach fuffzehn Runden, und insofern war die Welt bis auf weiteres wieder in Ordnung.
Mama war entsetzt vom Aussehen der Schauspielerin Simone Signoret in dem Film »Madame Rosa«: »Ach du lieber Gott, was ist die alt geworden! Und fett! Und dabei ist die gerade mal acht oder neun Jahre älter als ich!«
Simone Signoret spielte da eine bettelarme Jüdin, die Auschwitz überlebt und sich danach als Hure durchgeschlagen hatte.
In ihrer Jugend sei die eine richtige Schönheit gewesen, sagte Mama. »Und nun stellt sie sich hier als häßliche alte Vettel vor die Kamera ... ob das nun wirklich nötig ist?«
Am Montagmorgen kreuzte der Dahlke mit rosanem Oberhemd und grün-roter Krawatte auf. Entweder war der farbenblind oder er wollte einfach alle mit seinem Erscheinungsbild fertigmachen. Als Lehrer, dessen Anblick man sich im Unterricht nicht entziehen konnte, verstieß er damit meiner Meinung nach gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.
Diesmal quatschte er hauptsächlich übers Rauchen. Wissenschaftler hätten jetzt herausgefunden, daß Nikotin die Stimmung aufhelle, wenn es einem schlechtgehe, und sie eintrübe, wenn es einem gutgehe ...
»Das sind doch Ammenmärchen«, rief Ulla Nölting dazwischen, und der Dahlke konterte mit der Behauptung, daß Gewohnheitsraucher ihre Gefühle gar nicht mehr wahrnehmen könnten, weil die Nervenbahnen überall mit Teer verkleistert seien.
Hermann gab mir das Buch von Vance Packard zurück und sagte: »Wenn du noch mehr von der Sorte hast, immer her damit! Mit den Informationen aus diesem Buch habe ich in Gemeinschaftskunde geglänzt!«
Michael empfahl ich brieflich, sich mal eine anständige Anrede auszudenken. Dann gab ich ihm eine Synopse meines Ärgers in der Schule und vollendete das Schreiben mit dem Eröffnungszug einer neuen Fernschachpartie: Springer von g1 auf f3.
Nachts um elf begann im Ersten ein Spielfilm von Truffaut mit dem vielversprechenden Titel »Ein schönes Mädchen wie ich«, und ich hatte mich gerade zurechtgesetzt, als der Zweitfernseher mal wieder streikte. Zuerst hoffte ich noch, daß es sich nur um eine kleine, von den Technikern der ARD zu behebende Panne handele und daß in wenigen Sekunden eine Hinweistafel mit den Worten »Bildstörung – Wir bitten Sie um etwas Geduld« auftauchen werde, aber nein, es war allein das Schrottgerät von Tante Gisela, das sich darauf versteift hatte, anstelle aller möglichen Einblicke in das Leben eines schönen französischen Mädchens einen flackernden grauen Punktebrei zu übertragen.
Unten im Wohnzimmer lief zur gleichen Zeit irgendein anderer Kack. Und unter solchen Bedingungen sollte man nicht vor Wut die Wände hochgehen!
In der nächsten großen Pause herrschte ein großes Gedränge im Jesuitengang, von dem man nicht so genau wußte, bis wohin er noch zum Schulgelände gehörte. Da hatten Agitatoren vom Kommunistischen Bund Westdeutschland Tapeziertische mit Propagandaschriften aufgebaut. Hermann und ich gingen hin, und schon bald entwickelte sich eine Diskussion zwischen Hermann und einem der KBW-Typen, der einen glutroten Pullover trug und die Auffassung vertrat, daß die Sowjetunion »sozialfaschistisch« sei und bekämpft werden müsse. Deshalb sei es auch gut, daß das
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