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Aller Tage Abend: Roman (German Edition)

Aller Tage Abend: Roman (German Edition)

Titel: Aller Tage Abend: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Erpenbeck
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liebte, und an ihr Unglück.
    Sie hätte übersetzt, für einen Hungerlohn, aber immerhin, und die Deutschen hätten den Krieg angefangen, ihr Mann wäre verschollen geblieben, und sie hätte manchmal hier oder da Fenster geputzt, um sich etwas dazuzuverdienen, und die Deutschen hätten trotz des Nichtangriffspakts die Sowjetunion überfallen, und ihr Mann wäre noch immer nicht heimgekehrt, hätten Kiew bombardiert, und sie hätte auf ihn gewartet und gewartet, und Dimitroff hätte ihr angeboten, Beiträge für den illegalen Sender zu schreiben, Institut 101, Luftangriffe auf Moskau, und sie hätte für den Rundfunk geschrieben, und Moskau hätte sich mit Brettern und Farbe getarnt, sich unkenntlich gemacht für die Deutschen, und sie sprach Deutsch, die Moskwa, als ob sie kein Fluss mehr sei, mit Brettern zugedeckt, und die Kremlmauern wie Wohnhäuser getüncht, und die goldenen Kuppeln plötzlich grün, nachts zum Luftschutz in die Metrostation, und bis Anfang Oktober einundvierzig gewartet, und dann wäre im Rundfunk ihr einmal einer begegnet, dessen Gedichte sie kannte und schätzte.
    Das freut mich sehr.
    Sie sprechen gut Russisch.
    Na, ich weiß wirklich nicht.
    Aber ja.
    Der sowjetische Dichter war, und sie hätte gefunden, dass er beinahe, und sie hätte ihren Körper, und er wäre, und beide, und dann, ach, alle Öffnungen, wie?, einfach verschenkt, und dabei an ihren Mann, doch alles nicht möglich, doch nicht, deshalb schon im Morgengrauen, bevor er noch, und noch immer Luftangriffe auf Moskau, und der Arzt hätte gesagt, eine Nierenbeckenentzündung, und sie evakuiert, Kursker Bahnhof, vier Koffer, Krieg, nach Ufa. Und erst dort, im Ural, hätte, keine Nierenbeckenentzündung, sondern der sechste Monat, Moskau wird gehalten, und der sowjetische Dichter inzwischen in Taschkent, ja, so, das Kind ein Junge, niemals Gelegenheit, es dem Dichter zu sagen, niemals Briefe geschrieben, nie wieder gesehen, die Genossin O. dem Kind eine Wiege, weiter Sendungen schreiben, verbrannte Erde, Deutsch für Deutsche, nie die Gelegenheit, es ihm zu sagen, niemals geschrieben, er auch nie da. Und ihr Mann, H.? Anschreiben gegen die deutschen Faschisten, dem Feind keine Handhabe geben, das private, das einzelne Schicksal nicht überbewerten, das Kind anderthalb Jahre gestillt, andre verhungert, H. auf immer verloren? Und dennoch der Aufbruch, die gewaltige Leistung, je größer das Opfer für die richtige Sache, desto richtiger muss doch die Sache. Das schreiende Kind, seins hätte es sein sollen, das Kind ihres H., in Wahrheit. Guter Artikel, ganz wichtig, Antifaschismus und Krieg, wirklich gute Sendung, wirklich ihr H. auf immer verloren? Eine russische Njanja fürs Kind, wie schreibt man sich in die Herzen der deutschen Faschisten, die Kesselschlacht, Stalingrad wird gehalten, und dreht ihnen, wenn man drin ist, das Herz im Leib um? Mit drei Jahren das Kind mehr ein russisches Kind als ein deutsches. Und der Krieg schließlich aus, und sie nach Moskau zurück, mit ihren vier Koffern. Und der geliebte H. noch immer auf immer verloren, wahrscheinlich, und der ferne Dichter wahrscheinlich noch immer Gedichte geschrieben, auf Russisch . Und das Kind hätte auf Russisch gefragt, wo das Ende der Welt sei. Auf Einladung der Genossen, von ihr aus auch nach Berlin, ja, warum nicht, ihr Brief an die Mutter schon lange mit dem Stempel Evakuiert nach dem Osten an sie zurück, in Wien also keine Familie mehr, wahrscheinlich nirgendwo mehr. Sehr wahrscheinlich. Belorussischer Bahnhof also, Berlin. Kulturarbeit, Aufbau. Und das Kind viel zu klein, um ihm zu erklären, wer sein Vater, oder wer sein Vater in Wahrheit, und dieser Vater auch viel zu weit weg, um ihm zu sagen, wie sein Sohn, und dass überhaupt, außerdem niemals Briefe geschrieben, kein einziges Wort. Neuanfang. Trümmer. »Sisyphos«, aus dem Koffer genommen, endlich gedruckt.
    Ich will meine Freunde sehen!
    Wer sind denn deine Freunde?
    Die Wölfe, die Füchse und die Geister!
    Zumindest noch immer in Taschkent, oder wo?, der sowjetische Dichter. Von H. niemals mehr Nachricht. Sozialistische Einheitspartei. Keine Gelegenheit zu sagen oder zu schreiben, und das Kind versteht ja noch nicht. Erstes Theaterstück, großer Erfolg, verehrte Genossin H. War ihr Mann vielleicht doch noch am Leben?
    Wenn ich einmal tot bin, wird mein Spielzeug immer noch da sein.
    Dem Kind all das ersparen.
    Dein Vater ist bei Charkow gefallen.
    Zum Beispiel.
    Wölfe, Füchse und Geister.
    Und

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