Alles auf Anfang! (German Edition)
keinen Respekt vor Titeln und Pöstchen, sondern sah in jeder Person
lediglich den Menschen. Wenn jemand besonders hochnäsig und herablassend war,
dann stellte sie ihn sich splitterfasernackt vor. Kleider machen Leute. In
dieser Feststellung steckte eine Menge Wahrheit, denn mit dem richtigen Outfit
wurde man, leider, besser behandelt und wertgeschätzt. Auch in ihrem
Kleiderschrank befand sich das ein oder andere Label, aber sie identifizierte
sich nicht darüber.
In den Wintermonaten wollte sie gerne einen
Nähkurs machen. Denn dann hatte sie die Möglichkeit, ihren Kleiderschrank mit
wirklich individuellen Stücken aufzupeppen.
Heute fühlte sie sich wunderbar stark und
beschwingt. Neue Ideen durchströmten ihren Körper bei jedem Atemzug. Tatkräftig
und mit viel Schwung würde sie ihre Pläne verwirklichen. Das Leben war einfach
zu kurz, um kleine Sehnsüchte auf die lange Bank zu schieben. Von heute auf
morgen wollte sie leben und sich nicht selber im Weg stehen mit
Zukunftsmelodien, die vielleicht niemals zu realisieren waren.
Ein Stück Torte blieb übrig. Guter Dinge,
mit der ganzen Welt im Einklang, beschloss sie dieses Stück Carla Benedetti
anzubieten.
Welcher Teufel sie zu diesem Zeitpunkt
geritten hatte, konnte sie sich später nicht mehr erklären. Eigentlich hatte
sie nur freundlich sein wollen.
Als Lisa Carla Benedetti mit ihren viel zu
roten Lippen, in einer Wolke von Qualm sitzen sah, wurde ihr schlagartig klar,
dass ihr Vorhaben keine gute Idee gewesen war. Diese Frau war umgeben von einer
schlechten Aura.
Aber sie hatte Lisa direkt entdeckt und
breitete spinnenartig ihre Arme aus, um ihr Opfer einzufangen.
„Frau Seiler! Sie hatten gestern
Geburtstag! Meinen aller-, aller-, allerherzlichsten Glückwunsch!“
Mit einer übertriebenen Geste nahm sie Lisa
in den Arm und hauchte ihr links und rechts der Wange freundschaftliche Küsse
hin.
Lisa drehte sich der Magen um. Der
Zigarettenrauch war widerlich.
„Danke.“
„Ist das Stück Torte für mich?“
Betont legte sie ihre Hand auf ihren
flachen Bauch.
„Eigentlich muss ich ständig auf mein
Gewicht achten. Zur Zeit allerdings habe ich permanent Lust auf was Süßes und
gleich danach auf saure Gurken.“
Sie lachte verschwörerisch.
„Na dann, guten Appetit!“
Lisa machte auf dem Absatz kehrt und fühlte
sich wie eine zertretene Ameise.
Diese Ziege war schwanger. Und Ben von
Lichtenfels war der Vater. Na klar, wer kam sonst in Frage? Die Situation
neulich war mehr als eindeutig.
Ihre Laune war dahin.
Lisa konnte sich nicht mehr auf ihre Arbeit
konzentrieren. Sie war froh, heute um fünfzehn Uhr gehen zu können.
Wütend schnappte sie sich den Blumenstrauß,
den ihr Ben von Lichtenfels im Namen aller Kollegen überreicht hatte. Er hatte
ihr so tief in die Augen geschaut und dabei ganz große Pupillen gehabt. Das
bedeutet psychologisch, dass er sie sehr gerne mochte. Zumindest hatte sie das
in irgendeiner Frauenzeitschrift gelesen. Mistkerl!
Trotzdem nahm sie sich fest vor, sich nicht
ihren freien Nachmittag verderben zu lassen. Sie wollte ihrer Mutter München
zeigen und mit ihr gegen Abend irgendwo zünftig bayerisch essen gehen.
Vielleicht beim Spöckmeier. Da gab es so leckeren Schweinebraten. Sie würde
sich weder den Tag, noch den Appetit verderben lassen. Was war schon
Großartiges passiert? Ein Blick, ein Flirt und gedankliche Gefühlsduselei.
Sie brauchte keinen Mann!
Ihrer Mutter gefiel es in München, obwohl
sie das vor Lisa nicht unbedingt zugegeben hätte. Die beiden Frauen bummelten
quer durch die Innenstadt und machten sämtliche Geschäfte zwischen Stachus und
Marienplatz, zwischen Theatinerkirche und Sendlinger Tor unsicher. Es war ein
richtiger Frauennachmittag und Lisa freute sich, so harmonisch, untergehakt mit
ihrer Mutter shoppen zu gehen. Sie lachten viel und berieten sich gegenseitig
in der Umkleidekabine. Mit Tüten in jeder Form und Größe beladen, beendeten sie
ihre Einkaufstour beim Spöckmeier.
„Lass uns nach oben gehen, da ist es
bestimmt ruhiger.“
Sie wählten einen der Tische am Fenster in
der ersten Etage des Restaurants und bestellten beide eine Maß Bier und
Spanferkel mit Knödel und Speckkraut.
„Danke für die Einladung, Lisa. Prost, auf
dein Wohl.“
„Auf deines auch, Mama. Es war ein schöner
Geburtstag mit dir. Ich kann mich gar nicht daran erinnern, wann wir zwei alleine
einen Stadtbummel gemacht haben. Du kommst jetzt öfter, ja?“
„Gerne, aber nicht mehr
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