Alles auf Anfang Marie - Roman
ich auch Mitleid empfand für die Kinder, deren eigener Vater ihre Geburtstage nicht wusste. Aber offensichtlich gab es Familien, in denen das nicht so wichtig war. Auch Frau Kopp, meine Putzhilfe, hättesich niemals einen Monat vorher hingesetzt und vierzehn Geburtstagseinladungen in einer Falttechnik gebastelt, die so kompliziert war, dass ich auch bei der letzten noch die Anleitung hatte zu Rate ziehen müssen. Aber in den Kreisen, in denen ich mich bewegte, gab es andere Erwartungen, und ich hatte mich immer redlich bemüht, ihnen gerecht zu werden – schließlich ging es um die Kinder. Fünfundzwanzig Jahre lang. Würde es jetzt wieder mehr um mich gehen?
Schließlich wurde ich von Frau Hansen in ihr Büro gebeten, aber die erwartete Beratung bekam ich auch jetzt nicht. Sie sprach eher davon, dass ich aufgrund meiner Angaben keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung hätte.
»Das ist auch nicht der Punkt«, sagte ich. »Ich will wieder arbeiten, darum geht es mir.«
»Leben Sie getrennt von Ihrem Mann?«
»Nein«, sagte ich. »Ich meine, manchmal schon. Weil er in Hannover arbeitet. Und im Augenblick ist er in China.«
»Das meine ich nicht«, sagte Frau Hansen. »Wollen Sie sich von Ihrem Mann finanziell unabhängig machen?«
»Das wäre schon schön«, sagte ich. Warum sollte man sich nicht ehrgeizige Ziele setzen? Henning wäre sicher stolz auf mich, wenn ich genug verdienen würde, um auch allein zurechtzukommen. Das könnten wir dann verwenden, um für Lotta eine Eigentumswohnung zu kaufen … Aber vielleicht war ich jetzt ein wenig zu weit vorgeprescht. Frau Hansen holte mich zurück auf den Teppich.
»Sie sind gelernte Anwaltsgehilfin«, konstatierte sie. »Aber seit 1986 nicht mehr berufstätig. Haben Sie sich in diesem Bereich ein wenig auf dem Laufenden gehalten?«
»Eigentlich nicht«, sagte ich.
»Wie steht es denn mit Ihren ED V-Kenntnissen ? Beherrschen Sie die gängigen Office-Programme?«
»Ich weiß nicht«, sagte ich ein wenig eingeschüchtert. Was waren wohl die gängigen Office-Programme? »Ich kann Mails schreiben und im Internet surfen.«
Frau Hansen seufzte schwer. »Ich vermute, das wird schwierig in diesem Bereich. Wahrscheinlich müssten Sie erst mal einige Fortbildungen machen.«
»Es muss nicht unbedingt dieser Bereich sein«, sagte ich. »Ich weiß noch nicht mal genau, ob ich nicht nur ein paar Stunden in der Woche tätig sein möchte.«
Frau Hansen hatte jetzt einen etwas resignierten Gesichtsausdruck. »Am besten machen Sie zuerst mal einen Termin mit Frau Zobel«, schlug sie vor. »Das wäre die für Sie zuständige Sachbearbeiterin.«
»Könnte die mich beraten?«, fragte ich. »Wissen Sie, ich habe mich ziemlich spontan entschieden, wieder arbeiten zu gehen, und ich weiß gar nicht …«
»Darüber sprechen Sie am besten mit Frau Zobel«, sagte sie rasch. »Aber wir haben schon erlebt, dass wir Personen wie Sie vermitteln konnten.« Vielleicht sollte es beruhigend klingen. Aber für mich klang es ungefähr so wie: Man hat schon Pferde kotzen sehen.
»Also würden Sie mir raten, lieber Lotto zu spielen?«
Sie blinzelte überrascht. »Was hat das denn damit zu tun?«
»Wegen der Wahrscheinlichkeit«, klärte ich sie auf.
Frau Hansen war keine von der sehr humorvollen Sorte. Vermutlich rangierte Humor auf dem Anforderungsprofil für Arbeitsagentur-Mitarbeiter ziemlich weit hinten im Gegensatz zu Belastbarkeit und Grundkenntnissen in slawischen Sprachen. Sie studierte kopfschüttelnd ihren Kalender.
»Der nächste freie Termin ist … warten Sie …« Sie nannte ein Datum. »Passt Ihnen das? Morgens halb elf?«
»Ja sicher«, sagte ich, etwas überrumpelt. Die für mich zuständige Frau hatte erst in drei Wochen Zeit für mich? Vielleicht könnten sie mich ja umschulen und bei der Arbeitsagentur einstellen, damit sie schneller Termine vergeben konnten. Aber das würde ich mir genau überlegen. Wenn man es häufiger mit solchen Leuten zu tun hatte wie gerade am ARG E-Tresen , das hielte ich keine drei Tage durch.
5
Am nächsten Vormittag rief mich Bernhard an. »Die Frau Schirmer hat sich bei mir gemeldet und gefragt, ob wir beide noch mal vorbeikommen können. Wegen dieser Scheckübergabe am Montag. Hast du jetzt gleich Zeit?«
»Wie, jetzt sofort?«, fragte ich überrascht. Ich war gerade dabei, die Scheiben der Terrassentür zu putzen.
»In einer halben Stunde? Dann passt es mir nämlich ganz gut.«
»Was will sie denn?« Ich hatte
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