Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
Baby zu sehen.
Ihr Baby.
Ich nahm es persönlich, so als ob die drei das absichtlich machten, um mich zu verletzen, so als ob dieses Gebäude nur hier errichtet worden wäre, um mich zu verletzen.
Patrick würde Ellens Hand halten, und sie würden dem Herzschlag des Babys lauschen und sich unter Tränen selig anlächeln. Ich habe die Szene oft genug in Filmen gesehen. Ich weiß Bescheid. Und Jack würde zum ersten Mal sein Brüderchen oder sein Schwesterchen sehen.
Du wirst der beste große Bruder auf der ganzen Welt sein, habe ich früher, als Patrick und ich ein Kind zusammen haben wollten, immer zu ihm gesagt. Er wolle ein Schwesterchen haben, meinte Jack. In der Vorschule waren Mädchen seine besten Freunde. »Ich möchte eine kleine Schwester, die Jemima heißt und schwarze Haare hat. Bitte«, fügte er hinzu. Ich brachte ihm zu der Zeit höfliches Benehmen bei. Von mir aus gern, antwortete ich. Mir gefiel der Name Jemima.
Ein Glück, dass ich ihnen gefolgt bin, dachte ich. Sonst hätte ich wahrscheinlich nie erfahren, an welchem Tag sie die erste Ultraschalluntersuchung hatten machen lassen. Irgendwann, vermutlich eines Nachts um drei Uhr früh, wäre ich mit dem Gedanken aufgewacht, dass es doch Zeit für den ersten Ultraschall sei, und dann hätte ich wach gelegen und mir das Hirn zermartert, wann der Termin wohl sei und wo und was sie zu dem Anlass anzögen. Auf diese Weise hatte ich wenigstens ein Minimum an Kontrolle. Ich gehörte immer noch dazu, ich existierte immer noch. Auch wenn sie nicht wussten, dass ich da war, ich wusste es. Ich könnte zum Beispiel zu ihnen sagen: »Na, so eine Überraschung!«, wennsie aus der Praxis kamen, oder ich könnte Patrick heute Abend eine Textnachricht schicken ( Wie war die Ultraschalluntersuchung? ), oder ich könnte gar nichts tun – wie auch immer, ich hatte jedenfalls von Anfang an dazugehört, von jenem ersten positiven Schwangerschaftstest an.
Vielleicht machen sie mich zur Taufpatin.
Haha!, bin ich nicht zum Brüllen?
Es herrschte Betrieb in dem großen Wartesaal: dicke schwangere Bäuche, Händchen haltende Paare, die sich leise unterhielten, schlanke Frauen ohne Bauch, die in Illustrierten blätterten und dabei geheimnisvoll lächelten. Alles Leute, die sich so problemlos in die Gesellschaft einfügten wie die Teile eines Puzzles – saubere, gesunde Menschen, die liebten und geliebt wurden.
Ich setzte mich auf den ersten freien Platz, den ich sah, neben der Tür, und nahm mir eine Zeitschrift. Im gleichen Moment hörte ich eine Krankenschwester sagen: »Ellen O’Farrell!« Dann, nach einer Pause, noch einmal, lauter: »Ellen O’Farrell!«
Ich schaute auf und sah, dass Ellen sich gerade zwei Becher Wasser aus einem dieser Wasserspender eingeschenkt hatte, und jetzt war sie auf ihre reizende, mädchenhafte Art und Weise hilflos und aufgeregt. Sie wusste nicht, wohin mit den vollen Bechern, und sie richtete sich zu schnell auf, und dabei rutschte ihr der Riemen ihrer Handtasche von der Schulter. Patrick und Jack gingen zu ihr. Jack – so erwachsen und höflich, die guten Manieren hatte ich ihm beigebracht – schob den Riemen an seinen Platz zurück, und Patrick nahm Ellen die Becher ab. Die Krankenschwester sagte etwas, das ich nicht verstehen konnte, und alle drei lächelten und gingen dann den Gang hinunter. Sie hatten mich nicht gesehen.
Die Frau neben mir fragte: »Geht es Ihnen nicht gut?«
Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich weinte.
»Wenn du sterben würdest, würde das Baby dann auch sterben?«, fragte Jack.
»Jack!«, sagte Patrick scharf. »Was für eine Frage ist das denn?«
Sie hatten sich für ein frühes Abendessen in eine Pizzeria gesetzt. Während sie auf ihr Essen warteten, betrachtete Jack die Ultraschallaufnahme.
»Ich muss am Leben sein, damit das Baby wachsen kann.«
Sollte sie ihn beruhigen, ihm sagen, sie werde nicht sterben so wie seine Mutter? Oder fragte er nur aus Neugier? Oder hoffte er gar, sie werde sterben? Vielleicht hing ihm das gesunde Essen zum Hals heraus.
»Hast du deinen Lunch heute gegessen, Jack?«, fragte sie.
»Wenn Armageddon kommt, weißt du, und alle Schwangeren sterben …«, begann Jack.
»Herrgott, jetzt reicht’s!«, fuhr Patrick dazwischen. »Ich will kein Wort mehr über Armageddon hören. Deshalb hast du nachts Albträume, und deshalb schläfst du im Unterricht ein.«
»Ich hab nicht wirklich geschlafen.« Jack legte das Foto aus der Hand, und Ellen schob ihre Hand über den Tisch
Weitere Kostenlose Bücher