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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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nichts passieren, der Rest der Welt hielte sich auf der anderen Seite der Wassergräben auf.
    Am Tag unserer Abreise waren wir alle sehr traurig und versprachen ihm, an Allerheiligen wiederzukommen. ›Dann müsst ihr mich im Ort besuchen‹, sagte er daraufhin, ›dann wohne ichnämlich nicht mehr hier.‹ Ach so? Und warum nicht? Er sei zu alt, wolle nicht noch einen Winter allein hier verbringen. War im letzten Jahr sehr krank gewesen und hatte beschlossen, zu seiner Schwester zu ziehen, die vor kurzem Witwe geworden war. Er wollte das Haus an junge Leute vermieten und würde nur den Gemüsegarten behalten.
    Und die Tiere? Haben die Kinder besorgt gefragt. Na ja, die Hühner würde er mitnehmen und Filou, aber den Rest, tja. Dieses ›tja‹ klang ein wenig nach Schlachthof.
    Na gut. Dann würden wir ihn also im Dorf besuchen. Wir sind vor der Abreise noch einmal den ganzen Hof abgelaufen, und ich konnte nicht alle Gemüsekisten mitnehmen, die er für uns gepackt hatte: Das Auto war zu klein.«
     
    Sie erhob sich, nahm den linken Deckel hoch und füllte einen Wasserkessel.
     
    »Die Wohnung kam uns daraufhin ziemlich eng vor. Ebenso die Bürgersteige. Und der Spielplatz. Und die Politessen. Und der Himmel. Und die Bäume am Boulevard Raspail. Und sogar der Jardin du Luxembourg, in den ich nicht mehr gehen wollte, weil die kurzen Reitausflüge auf dem Eselrücken zu kostspielig geworden waren.
    Jeden Abend nahm ich mir vor, Dinge in Kisten zu verpacken und die Wohnung neu einzurichten, und jeden Morgen verschob ich das Unterfangen auf den nächsten Tag. Vermittelt von einem ehemaligen Kollegen, bot mir die American Chestnut Foundation den Auftrag an, eine umfangreiche Dissertation über die Krankheiten der Kastanie zu übersetzen. Ich habe Hattie in einer Krippe angemeldet, aber auch hier erspare ich Ihnen die bürokratischen Hürden. Fürchterliche Demütigungen. Und während die Großen in der Schule waren, kämpfte ich mit dem Phytophtora cambivora und anderen Endothia parasitica .
    Ich habe diese Arbeit gehasst, verbrachte meine Zeit damit,in all das Grau vor dem Fenster zu starren, und fragte mich, ob es in Renés Küche eine Lochpfanne gab ...
    Und dann kam ein Tag, der noch schwärzer war als alle anderen. Hattie war damals ständig krank, ihr lief die Nase, sie hustete und erstickte nachts fast vor lauter Schleim. Es war die Hölle, einen Arzttermin zu bekommen, und die Wartezeiten beim Physiotherapeuten trieben mich in den Wahnsinn. Sam, der fast schon lesen konnte, langweilte sich in der ersten Klasse zu Tode, und Alice’ Erzieherin, dieselbe wie im Jahr zuvor, verlangte weiterhin die Unterschrift beider Eltern auf ihren Mitteilungen, die sie den Kindern mitgab. Ich konnte ihr natürlich keinen Vorwurf machen, aber wenn ich mich für ihren Beruf entschieden hätte, würde ich dieses kleine Mädchen, das schon so viel besser zeichnen konnte als alle anderen, mit mehr Aufmerksamkeit bedenken.
    Was war sonst noch los an diesem Tag? Die Hausmeisterin war mir auf den Geist gegangen mit meinem Buggy, der ihren Eingang schmutzig machte, ich hatte einen Brief vom Verwalter bekommen mit dem Kostenvoranschlag für die Reparaturarbeiten am Fahrstuhl, sie waren horrend und trafen mich völlig unvorbereitet, der Heizkessel war kaputt, mein Computer hatte mich gerade im Stich gelassen, vierzehn Seiten Kastanienbäume hatten sich in Luft aufgelöst, und, icing on the cake , nachdem ich endlich einen Termin bei dem verdammten Physiotherapeuten ergattert hatte, war auch noch mein Auto abgeschleppt worden. Eine andere, eine pfiffigere Frau hätte ein Taxi gerufen, ich habe stattdessen geheult.
    Ich habe so sehr geheult, dass sich die Kinder nicht trauten, mir zu sagen, dass sie Hunger hatten.
    Irgendwann hat Samuel allen eine Schüssel mit Getreideflocken gemacht und – die Milch war schlecht, sie war sauer geworden.
    Darum musst du doch nicht weinen, sagte er ganz geknickt, wir essen sie einfach mit Joghurt.
    Wie lieb sie waren, wenn ich daran zurückdenke.
    Wir haben uns in unserem Biwak schlafen gelegt. Ich hatte nicht die Kraft, ihnen eine Geschichte vorzulesen, und wir haben uns im Dunkeln einfach welche erzählt. Wie so oft haben unsere Träumereien uns in Renés Haus geführt. Wie groß die Kätzchen jetzt wohl waren? Ob René sie mitgenommen hatte? Und der kleine Esel? Brachten ihm andere Kinder nach der Schule Äpfel?
    Einen Augenblick, habe ich zu ihnen gesagt.
    Es war neun Uhr abends, und ich habe zum

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