Alles Gold Der Erde
Mann vermutlich noch eine ganze Weile dort unbeobachtet hätte stehen können. Jetzt trat er ruhig aus dem Halbdunkel hervor. Er sah aus, als habe ihn nie etwas aus der Ruhe gebracht und werde sich auch nie aus der Ruhe bringen lassen, da es auf der Welt nichts gab, was so wichtig gewesen wäre, um ihn zu erregen. Ruhig nahm er seinen Hut ab, ruhig nickte er den Männern zu. Er hatte glänzendschwarzes Haar, einen gepflegten Spitzbart, einen schmalen Mund und eine Nase, die einem Papageienschnabel ähnelte. Er trug einen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd; seine Schuhe waren sauber, sah man von dem Straßenstaub ab. Mit dem Hut in der Hand schien er auf das zu warten, was als nächstes geschehen würde – nicht daß es ihn interessiert hätte, aber irgendwie mußte man seine Tage ja hinbringen. Sein Gelangweiltsein unterschied sich so sehr von der Munterkeit Marnys, daß Kendra sich erstaunt fragte, wie sie wohl mit diesem Mann zurechtkommen mochte.
Zurecht kam sie indessen mit ihm, denn sie sprach in anmutigem Ton: »Mr. Fenway, darf ich Ihnen meinen Freund Delbert vorstellen?«
Elegant und müde verbeugte sich Delbert, und Marny schlug vor:
»Warum nimmst du nicht am Ofen Platz, Delbert?«
Mit höflicher Gleichgültigkeit begab sich Delbert zum Ofen, nahm die Zeitung, die Pocket hingelegt hatte, setzte sich auf eine Kiste und begann zu lesen. Marny schien ihn sogleich wieder vergessen zu haben. Gefolgt von ihren Anbetern schritt sie in den warmen Raum zwischen Ofen und Theke und streckte Foxy eine Hand entgegen:
»Jetzt die Karten, bitte.«
Die Männer umdrängten sie; an Geschäfte dachte vorderhand keiner mehr. Mit seinem blauen Taschentuch wischte Pocket ein Stück der Theke ab und legte darauf Marnys Hut und Handschuhe. Während ihre Blicke über die Schar ihrer Bewunderer tanzten, öffnete Marny das Kartenpäckchen. Ihre Hände waren kräftig und fest, die Haut war sehr weiß und genauso sommersprossig wie ihr Gesicht. Ihre Finger zuckten so schnell wie die einer Wahrsagerin. Sie nahm die Karten heraus. Delbert las in der Zeitung.
Marny machte einen Schritt auf die Theke zu und teilte den Pack in zwei Hälften. Dann gab es ein Schwirren, und die Karten waren gemischt. Einen Moment lang hielt sie die Blätter in die Höhe und betrachtete sie lächelnd. Es war ein geradezu liebevolles Lächeln. Diese Karten waren ihre Freunde; das war für jeden deutlich zu erkennen.
Sie faßte das ganze Spiel mit einer Hand, ließ die Finger der andern Hand darübergleiten und griff plötzlich entschlossen zu. Für eine Sekunde standen die Karten aufrecht wie eine Säule. Im nächsten Augenblick fächerte sie das Spiel horizontal auf, so daß die Karten wie eine Ziehharmonika auseinandergezogen schienen.
Die Männer schauten begeistert zu. Marny mischte die Blätter immer wieder. Es gelang ihr, sie derart geschickt aufzudecken, daß jede einzelne genau den gleichen Abstand von der nächsten hatte. Es war reine Hexerei.
Bewundernde Seufzer wurden laut. Pocket grinste so stolz, als habe er allein diese Frau entdeckt. Selbst Mr. Fenway murmelte beifällig. Delbert unterdrückte ein Gähnen. Doch achtete niemand auf Delbert. Alle starrten Marny an.
»Zum Teufel, Miß! Sie können aber mit den Karten umgehen!« rief Hodge aus.
Foxy fielen beinahe die Augen aus dem Kopf. Atemlos fragte er: »Werden Sie ein Spielchen mit uns machen, Ma'am?«
Mit einem Blick auf Mr. Fenway lächelte Marny und schüttelte den Kopf. »Jetzt nicht. Und auch nicht hier. Später.«
Pocket kam einen Schritt näher. »Werden Sie in der Stadt bleiben. Miß Marny?«
»Ich denke doch. Ich werde einen dieser Spieltische im City House nehmen. Ich hoffe. Sie kommen einmal vorbei, ja?«
Pocket versetzte sanft: »Ich spiele nicht, Miß Marny.«
Sie schaute ihn verblüfft und amüsiert an. Bevor sie jedoch antworten konnte, rief Foxy:
»Aber alle andern tun's! Sie bleiben am besten da, Miß.«
Marny nickte versonnen. »Man hat mir gesagt, daß Sie in San Francisco keine Frömmler haben, die es für verrucht halten, Karten zu spielen.«
»Verrucht?« schrien alle zugleich.
»Nun ja, in Honolulu gab es solche halsstarrigen Leute«, erklärte Marny. In verwundertem Ton fuhr sie fort: »Wenn die Walfangschiffe nach sechsmonatiger Arbeit in der Arktis anlegten und die Seeleute an Land gingen, wissen Sie, was diese frommen Musterknaben von Honolulu dann von ihnen verlangten?«
Die Männer schüttelten eifrig die Köpfe.
»Sie wollen die arme Kerle
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