Alles Gold Der Erde
Bienen und das Schilpen der Vögel und das Rascheln eines Eichhörnchens. Sie fuhr mit einem Finger durch den weichen und kiesigen Boden neben ihr. Sie lockerte einen Stein und ließ ihn davonkollern. Ein Moskito stach in ihr Handgelenk, und sie schlug darauf. Dieser Klaps auf die eigene Hand weckte sie aus ihrer Benommenheit. Als ob alle Stunden seit gestern sich in einem Nu zusammendrängten, stürzten sie jetzt auf sie ein.
Mit Ted war sie nicht verheiratet. Sie konnte es gar nicht sein. Und nun – in kalter Ernüchterung – wollte sie es auch nicht mehr sein. Ted hatte in New York eine Frau, die Della hieß, und er hatte sie verlassen, weil sie ihm auf die Nerven gegangen war. Nein, diese Della war in der Zwischenzeit wohl kaum gestorben. Sie gehörte zu diesen unverschämt gesunden Menschen, die nahezu ewig leben. Nein, er konnte sich nicht gut von ihr scheiden lassen. Dazu müßte er sie mit einem Liebhaber überraschen können, und es bestand keine Hoffnung, daß Della sich jemals in eine solche Situation begeben würde. Sie war eines jener Frauenzimmer, die sich einen Mann einfangen und dann fest auf ihrem Hintern sitzen bleiben, bis sie fett werden, derweilen der Gatte die Rechnungen bezahlt. Wenn eine Person wie Della einmal einen Mann in die Finger bekam, dann hockte er für den Rest seines Lebens in der Falle. Er mußte sich mit ihr und ihren beiden rotznäsigen Rangen abfinden. Wer sorgte eigentlich jetzt für sie? Ted wußte es nicht; es war ihm auch gleichgültig. Die Rangen waren weinerlich und verzogen – wie Della selber, und allein schon der Gedanke an die drei machte ihn krank …
»Ted, warum hast du sie geheiratet?«
»Ich habe mir beinahe den Kopf zerbrochen, um darauf eine Antwort zu finden.«
Wie er ihr erzählt hatte, war Ted in einem Anwaltsbüro tätig gewesen, wo auch Gene beschäftigt gewesen war. Ted hatte Gene gern gemocht und ihn manchmal zum Essen eingeladen. In dieser Hinsicht konnte man sich auf Della verlassen: Falls ein hübscher junger Mann kam, der gutes Essen schätzte, stellte sie allemal etwas Leckeres auf den Tisch. Ganz anderes jedenfalls als die aufgewärmten Süppchen, die sie auftrug, wenn bloß ihr Mann da war.
Kein Wunder, daß Gene sich heute noch an diese Apfeltorte erinnerte.
Gene hatte dann eine andere Stellung in Brooklyn gefunden, und Ted war ihm seitdem nicht mehr begegnet. Ted wußte, daß Gene Mormone war, aber er hatte nicht gewußt, daß Gene mit dem Schiff der Mormonen nach Kalifornien gesegelt war. Er hatte an dergleichen nie gedacht.
Nein, Ted konnte nicht nach New York zurück. Nie wieder. Denn wenn er das täte, würde man ihn wegen Unterschlagung einsperren. Natürlich war es nicht seine Art, zu stehlen. Aber er hatte Della so satt gehabt. Seit Monaten war ihm nur ein einziger Gedanke durch den Kopf gegangen: Wie konnte er von ihr loskommen? Wenn er sie einfach sitzenließ, konnte sie ihn vors Gericht schleifen, und das würde sie ohne Zweifel auch tun. Es gab nur einen Ausweg: Er mußte so weit fortgehen, daß sie nicht mehr in der Lage war, ihn aufzugabeln. Das aber kostete Geld. Sehr viel Geld.
Dann, eines Abends, war er noch im Büro und beendete eine Arbeit. Er blieb dort häufig länger und aß in einem Restaurant, weil es kein Vergnügen war, nach Hause zu gehen. Auch ein Kollege machte Überstunden: der Kassierer. Und dieser Mann entfernte sich, um einige Briefe aufzugeben. Ted blieb allein zurück. Der Narr hatte das Safe offen gelassen. Ted sah einen Haufen Geld.
Und das war seine Chance. Nie wieder würde er eine derartige Chance haben. Dieser verdammte Idiot von einem Kassierer! Er hätte sich doch besser auskennen müssen! Die Versuchung war zu groß. Ted nahm das Geld und lief davon.
Er ließ alles hinter sich, ging sogleich zum Hafen und erkundigte sich, welche Schiffe heute abend in See stachen. Er nahm das nach Boston fahrende. Er hatte keine Ahnung, wohin er von dort aus reisen würde, aber es war auch gleichgültig, die Hauptsache hieß: möglichst weit weg. Im Hafen von Boston lag ein Schiff, das nach Honolulu segelte. Ted bezahlte seine Passage und ging an Bord.
Kendra entsann sich nicht mehr, wie lange er gebraucht hatte, um ihr das alles zu erzählen. Ebensowenig wußte sie, wie viele Fragen sie ihm gestellt hatte. Ted war hin- und hergegangen, manchmal hatte er eine Pause gemacht und sich vor sie gestellt, als wolle er eine Verteidigungsrede halten. Sie hatte die Sonne rot hinter den Bäumen sinken sehen. Sie
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