Alles oder nichts
können Sie sich vorstellen, daß Dr. Devarest sich die Zeit genommen hat, der Sekretärin nachzustellen, statt sofort die Polizei zu alarmieren, als er den Diebstahl bemerkte? Das kann doch wohl nicht sein.«
Ich nickte zustimmend.
»Warum hat er überhaupt Miss Starr damit beauftragt, anstatt es selbst zu tun?«
»Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen. Sie liegen beide sehr tief.«
»Wie tief?«
»Zwei Meter unter der Erde.«
Er dachte einen Augenblick nach, dann nickte er sehr langsam und gedankenvoll mit dem Kopf. Anscheinend schien er meine Anwesenheit völlig vergessen zu haben und war in Gedanken versunken. Erst als ich leise hustete, erinnerte er sich wieder meiner Gegenwart.
»Ich wollte Sie um eine Gefälligkeit bitten«, sagte ich.
»Wenn ich kann, helfe ich Ihnen gern.«
»Ich möchte wissen, nach welchem System die Polizei Verbrecher identifiziert.«
»Meinen Sie die Klassifizierung von Fingerabdrücken? Im allgemeinen finden wir immer nur kleine Ausschnitte, die wir . ..«
»Nein, ich meine, welche anderen Methoden Sie anwenden.«
»Wir registrieren die Art des Vorgehens bei der Tat und andere charakteristische Zeichen, wie etwa körperliche Merkmale.«
»Haben Sie eine Kartei, in der Verbrecher nach körperlichen Merkmalen registriert sind?«
»In gewisser Weise, ja. Nehmen wir an, wir kennen einen Verbrecher, dem ein Daumen fehlt. Dann ist er in einer Kartei erfaßt, die alle Verbrecher mit fehlendem Daumen enthält. Es ist eine 'Heidenarbeit, diese Karteien ständig auf dem laufenden zu halten und zu ergänzen, und ich frage mich mitunter, ob sich der Aufwand lohnt. Aber manchmal haben sie sich schon als wahre Goldgruben erwiesen.«
»Nehmen wir einmal an, Sie suchen einen Mann mit einer Narbe am Kinn, eine Narbe, die vielleicht von einem Messerstich herrühren könnte. Ist auch diese Kategorie von Merkmalen bei Ihnen registriert?«
»Bestimmt.«
»Ich würde sehr gern mal einen Blick in diese Kartei werfen und mich darin umsehen. Ist das möglich?«
»Suchen Sie einen bestimmten?«
»Nein. Ich möchte mir nur eine Vorstellung davon verschaffen, nach welchen Methoden die Polizei bei der Identifizierung von Verbrechern vorgeht. Sind Personen mit den gleichen äußeren Merkmalen in der Kartei zusammengefaßt? Also etwa Einbrecher, Straßenräuber und Erpresser in der gleichen Abteilung zu finden?«
»Selbstverständlich.«
»Wäre es eine große Mühe für Sie, mir diese Kartei einmal vorzuführen?«
»Wofür interessieren Sie sich insbesondere?«
»Für Männer mit tiefen Narben in der Mitte des Kinns.«
»Das können Sie haben. Kommen Sie bitte mit.«
Er führte mich den Korridor entlang, durch eine Stahltür in einen Raum, der mit Karteikästen, die in Regalen standen, angefüllt war. »Mit dieser Kartei haben wir vor den anderen Polizeipräsichen im Lande einen großen Vorsprung. Aber das wird kaum anerkannt. Und es ist sehr schwer, die nötigen Mittel für den Unterhalt und die Weiterführung aufzubringen.«
»Es muß eine irrsinnige Arbeit darin stecken.«
»Und ob.«
Er blieb vor einem stählernen Regal mit Schubkästen stehen, das die Aufschrift >Narben am Kopf< trug und zog ein Fach heraus. Darin gab es folgende Unterteilungen: Narben links, Narben rechts, Narben an der Nase, Narben am Kinn, Narben an der Stirn. Er zog einen Packen Karten heraus und reichte sie mir. »Bringen Sie die Reihenfolge nicht durcheinander«, sagte er.
»Nein, bestimmt nicht«, versicherte ich ihm.
Er blickte auf seine Uhr. »Ich muß an meine Arbeit, Lam. Wenn irgend jemand Sie fragt, wie Sie hier hereingekommen sind, dann sagen Sie nur, daß ich Sie hergebracht habe.«
»Das werde ich tun. Vielen Dank, Inspektor.«
Nachdem Lisman gegangen war, schob ich die Karteikarten an ihren Platz zurück und nahm den Packen heraus, der mich interessierte. Ich notierte mir vier Namen und die entsprechenden Nummern der Personalkarten.
Mit Hilfe der Empfehlung von Inspektor Lisman und den von mir notierten Nummern erhielt ich dann die Informationen, die ich suchte. Die ersten beiden Personalkarten besagten mir gar nichts, aber von der dritten blickte mir das Konterfei von Rufus Bayley entgegen.
>Paul Rufus, alias Rufus Bayley, alias Rufus Cutting< lautete die Namensangabe. >Arbeitet ausschließlich mit Juwelen und an Panzerschränken. War an einer Erpressung beteiligt. Arbeitet mit Vorliebe allein, hat deswegen kaum Komplicen, Helfer und Mitwisser. Versteht es, mit Frauen umzugehen, und
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