Allmachtsdackel
spielte mit der Hasenpfote an ihrem klimpernden Bettelarmband und lächelte.
»Es gibt kein sinnentleertes christliches Pathos«, torkelte Vicky in die Falle. »Jedenfalls nicht für den, der im Glauben lebt.«
Studierte er in Hohenheim wirklich Biologie und nicht vielleicht noch heimlich Theologie in Tübingen?
»Darum frage ich, warum ihr bei Martinus zuerst an Schuld und Vergebung denkt. Da muss doch mehr dahinterstecken als ein ›Nicht einmal zur Konfirmation hat er Geld in die Hand genommen und mir ein Geschenk gekauft. Die abgelutschte Trompete von Onkel Richard habe ich bekommen.‹ Hm?«
»Vielleicht geht es dich nichts an«, sagte Jacky und häufelte Tabak auf ein Blättchen.
Aber Vicky ließ sich nicht gern etwas sagen, weder von mir noch von seiner kleinen Schwester. »Für unseren Großonkel Martinus«, er hüstelte sich die Kehle frei, »war Toleranz kein Freibrief für moralische Gleichgültigkeit. In seinem Eifer mag er auf uns oft unbarmherzig gewirkt haben. Es spricht aber der Herr: ›Ich bin ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue.‹«
»Dann war Martinus Gott?«, konstatierte ich. »Und dabei hat er sich mehr an das gehalten, was deinem kastrierten Zitat im zweiten Buch Mose folgt: ›Aber ungestraft lässt er niemand, sondern sucht die Missetat der Väter heim an Kindern und Kindeskindern bis ins dritte und vierte Glied.‹«
Jacky leckte ihr Blättchen.
»Tja«, protzte ich in Vickys graublaue Augen hinein. »Ich bin trainierte Katholikin und deutsche Meisterin im Bibelfechten.«
Maxi lachte. Vicky nicht. Von Humor stand genauso wenig in der Bibel wie über Toleranz.
»Und was konkret hat Martinus nun getan?«, fragte ich.
»Ist das ein Verhör oder was?«, blaffte der junge Mann.
»Komisch«, lächelte ich, »dass nach einem Todesfall Fragen immer gleich als Verhör verstanden werden. Aber ich bin nur neugierig. Eine Berufskrankheit. Ich bin Journalistin.«
Die beiden Mädchen sahen nicht so aus, als hätten sie eine konkrete Vorstellung von diesem Job. In dieser Hinsicht ähnelten sie mir. Vicky blickte verständiger drein. »Für welche Zeitung schreibst du?«
»Hauptsächlich für Sonntags- und Wochenendbeilagen. Als Schwabenreporterin Lisa Nerz berichte ich übers Spätzleschaben, den Rottweiler Narrensprung, die Waagenindustrie von Balingen oder über eure Herde.«
Der Täufer verschwand, die Augen des Wissenschaftlers glitzerten. »Über unsere Archerinder? Was denn?«
»Alles, was es über die wilde Seele des Fleckviehs von Frommern zu berichten geben könnte.«
»Voll krass, eh!«, entfuhr es Maxi. »Wir werden berühmt.«
Jacky warf ihrer jüngeren Schwester einen disziplinierenden Blick zu. Maxi senkte die Wimpern und begann, mit dem Tischstaubsauger die Flöhe einzufangen. Alle drei wirkten wieder verstockt.
»Dann«, sagte Vicky mit einem Rest Konventionalität über das Gesumm des Tischstaubsaugers hinweg, »willst du wohl mal auf die Weide, die Rinder sehen.«
»Wenn das geht.«
Auf dem Tisch lag immer noch der Zollern-Alb Kurier vom Freitag. Kino, Notrufnummern, die Bilder von Claudia Murschel in der Praxis von Dr. Zittel in Balingen in der Neuen Straße. Öffnungszeiten wochentags von bis und – da schau her! – samstags bis 14 Uhr. Ich betastete meine Rippenprellung, warf meine bisherige Planung um.
»Aber erst mal müsste ich kurz nach Balingen rein. Ein … ein Flohhalsband für Cipión kaufen und … äh, für mich ein bisschen Wäsche zum Wechseln.«
»Und eine andere Hose.« Jacky zündete sich die Zigarette an und musterte mich aus schmal gemachten Augen. »Deine macht einen total fetten Arsch.«
»Das ist mein Arsch. Damit kann ich machen, was ich will. Und welcher Mann schaut mir schon ins Gesicht?«
Jacky lachte laut heraus. »Kannst du kochen?«
»Warum?«
»Wir wollten Gulasch machen zum Mittagessen.«
Der Vorteil eines dicken Arsches war es, dass man die Grundlagen der Kochkunst intus hatte, sogar ich. »Aber ich muss wirklich erst einmal nach Balingen. Und ich habe keinen fahrbaren Untersatz.«
»Du kannst mein Mofa nehmen«, bot Jacky an. »Aber du kochst.« Sie riss den Kühlschrank auf, legte eine Tüte geschnittenes Rindfleisch auf die Arbeitsfläche und tat drei Paprika und eine ziemlich ausgequetschte Tube Tomatenmark dazu. »Was brauchst du noch?«
»Zwiebeln, Salz, Paprikapulver. Und was soll es dazu geben?«
Jacky runzelte die Stirn. »Spätzle? Die haben wir im Laden. Ich hol sie
Weitere Kostenlose Bücher