Allmen und der rosa Diamant
Pizzaschachteln, schmutziges Geschirr, leere Anderthalb-Liter-Cola-Flaschen und Eistee-Tetrapaks.
Allmen rief noch einmal: »Jemand da?« Dann betrat er den Raum.
In dem Teil des Zimmers, das vorher im toten Winkel gelegen hatte, sah er ein paar Kunststoffboxen, die vermutlich etwas mit Computern zu tun hatten. Vielleicht sahen so Server aus. Daneben, auf einem mächtigen Bürosessel, saß ein sehr dicker jüngerer Mann vor mehreren Bildschirmen. Er schien Allmen nicht bemerkt zu haben.
»Grüezi«, sagte Allmen. Und dann noch einmal, etwas lauter: »Grüezi, Herr Neuenhauser.«
Jetzt wandte der Mann den Kopf und sah ihn misstrauisch an. »Was wollen Sie?«
»Entschuldigen Sie, dass ich hier einfach so eindringe.«
»Was wollen Sie?« Neuenhauser trug ein T-Shirt mit der Aufschrift »World Congress on it 2008«. Es zeichnete jeden seiner Wülste ab.
»Haben Sie einen Moment Zeit?«
»Nein. Was wollen Sie?«
»Es geht um einen Bekannten.«
Neuenhauser nahm aus einer Zellophantüte etwas Buntes, steckte es in den Mund und begann zu kauen, als wäre es eine lästige Pflicht.
»Ich versuche ihn seit Tagen vergeblich zu kontaktieren. Er hatte bis vor kurzem eine Domain bei Ihnen. Ich dachte, Sie könnten mir vielleicht helfen.«
»Sind Sie von der Polizei?«
»Nein.«
»Dann kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.«
»Das verstehe ich.« Allmen sah den dicken Mann schweigend an, bis er den Blick abwandte.
»Wie heißt er denn?«
»Sokolow. Artjom Sokolow.«
Der dicke Mann nickte, als hätte er nichts anderes erwartet.
Allmen fasste nach: »Seine Domain hieß« - Allmen musste sein Stenoblöckchen konsultieren - »phinnkka.com.«
Neuenhauser stand auf. Es sah aus, als folge sein unförmiger Körper seinen behenden Bewegungen widerwillig und mit der Verzögerung von ein paar Sekundenbruchteilen.
Er ging auf die Tür zu. Einen Moment dachte Allmen, er wolle das Zimmer verlassen. Dann kam er zurück, nahm die Zellophantüte vom Schreibtisch und setzte sich damit auf die einzige Sitzgelegenheit, die der Raum außer dem Bürosessel bot: ein durchgesessenes Bettsofa, das vor einem großen Fernseher stand.
Neuenhausers Gesicht war weiß und schweißbedeckt. Allmen war sich nicht sicher, ob es das schon vorher gewesen war, denn das Licht beim Sofa war heller. Es dauerte eine ganze Weile, bis Neuenhauser wieder etwas sagte. »Ich kann Ihnen nicht helfen. Selbst wenn ich wollte.«
Allmen spürte, dass darauf eine Erklärung folgen würde. Er wartete.
Neuenhauser deutete hinter sich, ohne sich die Mühe zu machen, sich umzudrehen. »Sehen Sie die Lücke dort unter dem Tisch?«
Allmen nickte. In der Reihe der Server fehlte einer.
»Dort war der Server mit Sokolows Domain.«
»Wo ist er jetzt?«
»Vor ein paar Tagen kamen zwei Typen, Engländer. Die wollten das Gleiche wissen wie Sie. Und als ich es ihnen nicht sagte, wurden sie grob. Ich habe gesagt, die Daten seien alle gelöscht, aber sie wollten wissen, auf welchem Server sie waren. Den haben sie dann mitgenommen. Bestimmt wollen sie versuchen, die Daten wiederherzustellen, aber das wird ihnen nicht gelingen. Ich lösche meine Daten sicher.«
»Warum sind Sie nicht zur Polizei gegangen?«
Neuenhauser zögerte, bis er schließlich sagte: »Ich will keine Scherereien. Ich bin zwar nicht für die Inhalte der Websites verantwortlich, ich stelle nur die Infrastruktur zur Verfügung. Aber trotzdem. Keine Scherereien. Verstehen Sie?« Allmen verstand.
»Schon am nächsten Tag kamen zwei Amerikaner und stellten die gleichen Fragen. Denen habe ich von den beiden anderen erzählt, da blieben sie nicht lange.« Neuenhauser knisterte wieder in seinem Zellophan voll Buntem.
»Wann haben Sie zum letzten Mal von Sokolow gehört?«, erkundigte sich Allmen.
»Am selben Tag, kurz nachdem die Amerikaner da waren, hat er mich angerufen. Er wollte wissen, ob ich die Daten gut gelöscht hätte. Ich habe ihm von den beiden Besuchen erzählt.«
»Was hat er gesagt?«
»Nichts. Aufgelegt.«
»Und wann war das, ungefähr?«
»Ungefähr weiß ich es nicht. Aber genau: am neunten Juli.«
Erst jetzt fiel Allmen auf, dass er durch den Mund atmete, um dem Schweißgeruch zu entgehen. »Danke. Und alles Gute.« Er wandte sich wieder dem Ausgang zu. Dann fiel ihm noch etwas ein:
»Haben Sie seine Nummer?«
»Ja.«
Allmen sah ihn an, bis er schließlich ein Handy aus der Hosentasche zwängte und ihm eine Handynummer diktierte.
Sobald Allmen im Fond des Cadillacs saß, wählte er
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