Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Allmen und die verschwundene María

Allmen und die verschwundene María

Titel: Allmen und die verschwundene María Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
Vom Netzwerk:
handelte.
    »Warten Sie bitte hier«, bat ihn Allmen. Er zögerte und fügte noch hinzu: »Wenn wir in… sagen wir, einer halben Stunde nicht zurück sind, dann…« Er überlegte und winkte schließlich ab. »Dann hat es eben etwas länger gedauert.«
    Arnold sah den beiden nach, wie sie mit dem Paket auf einen Waldweg zugingen, der für Fahrzeuge zu schmal war. Bevor sie darin ganz verschwanden, rief er ihnen nach: »Sie haben ja meine Handynummer.«
    [108]  Dann lehnte er sich gegen die Kühlerhaube und stellte sich aufs Warten ein.
    9
    Zum Bauernhof seines Vaters hatte ein kleines Stück Wald gehört. Im Spätherbst und Winter halfen sich die Nachbarn gegenseitig bei der Waldarbeit. Manchmal musste Allmen seinen Vater begleiten und mit kalten Händen das frisch abgeschlagene stachelige Tannenreisig bündeln.
    An einem solchen Tag geschah einmal ein Unfall. Die Männer fällten eine große Tanne, und als sie fiel, rief der Fäller wie immer: »Baum!«
    Alle brachten sich in Sicherheit, aber einer, Zäri, stolperte über einen Ast und geriet unter den Baum. Der kleine von Allmen hatte es nicht gesehen, aber gehört. Man schickte ihn zum Hof zurück, aber die Schreie von Zäri begleiteten ihn noch weit. Laute wie von einem Tier.
    Allmen erinnerte sich nicht gerne daran. Wie an das meiste, das vor der Zeit lag, als er beschloss, das »von« vor seinem Namen nicht mehr als bäurische Herkunftsbezeichnung, sondern als Adelstitel zu verwenden und entsprechend zu leben. Aber die Kühle und der Duft des Waldes, durch den sie [109]  stapften, stumm den Anweisungen folgend, die der Italiener ihm durchs Handy diktierte, riefen diese Erinnerungen zurück.
    Die Entführer mussten sie beobachtet haben, denn der Mann am anderen Ende der Leitung hatte ihn beim ersten Anruf angeschrien, weil er Herrn Arnold entdeckt hatte. Nur sie beide wolle er bei der Übergabe dabeihaben. Er beruhigte sich erst, als Allmen ihm erklärte, dass weder er noch Carlos Auto fahren könne. Was nicht ganz der Wahrheit entsprach, ihr aber ziemlich nahekam.
    Hinter einem moosbewachsenen Findling trat plötzlich ein Mann hervor. Er hatte eine Pistole im Anschlag und sprach kein Wort.
    Allmen und Carlos erschraken und blieben stehen. Beide hielten unaufgefordert die Hände hoch.
    Mit der Waffe bedeutete er Carlos, das Bild näher zu bringen. Carlos gehorchte.
    Der Mann war jung, höchstens Mitte zwanzig. Er war mittelgroß und hatte ein schmales Gesicht mit hohen Backenknochen über einem bläulichen Bartschatten. Seine Augen waren von einem unschuldigen Grün und schielten ein wenig, sein einziger Schönheitsfehler. Er trug einen schmalgeschnittenen Anzug. Anstelle einer Krawatte zeigte er eine dichtbehaarte Brust unter einem weit geöffneten schneeweißen Hemd.
    [110]  Es war der Beschützer von Dalia Fioriti, der jungen Geliebten von Tino Rebler.
    »Apri!«, rief er halblaut.
    Carlos begann, das Packpapier zu entfernen.
    »Scusi«, sagte da Allmen. Und als der Mann nicht reagierte, etwas lauter: »Scusi!«
    Jetzt schaute er hoch, zielte dabei aber weiter auf Carlos.
    »Es gibt ein kleines Problem mit dem Bild. Nichts Schlimmes.«
    »Cosa?«
    »Signora Gutbauer hat es leicht beschädigt. Aber man kann es reparieren. Ich habe das Geld für die Kosten der Reparatur mitgebracht. Wenn Sie erlauben, es befindet sich in meiner Tasche.« Er machte eine vorsichtige Bewegung zu seiner äußeren Jackentasche.
    »Zitto!«, fuhr ihn der Mann an und zielte auf ihn.
    Allmen hob die Hand wieder in die Höhe.
    Carlos hatte jetzt das Bild ausgepackt.
    »Fa vedere!«, befahl er.
    Carlos hielt das Bild hoch. Er hatte Allmen den Rücken zugewandt, aber was der Italiener sah, spiegelte sich in seiner Mimik wider. Zuerst Unsicherheit, ob er richtig gesehen hatte. Dann Überraschung. Er trat ein paar Schritte näher – Ungläubigkeit. Und schließlich Ratlosigkeit.
    [111]  »Due!«, rief er.
    Hinter dem Findling trat ein bulliger Mann hervor. Er zog eine stolpernde zerzauste Frau hinter sich her. Sie war mit einem Klebeband geknebelt. Ihr rechtes Auge war zugeschwollen.
    »María!«, rief Carlos und machte eine Bewegung auf sie zu.
    »Fermati!«, schrie der Bewaffnete. Und zu seinem Komplizen. »Senza la donna!«
    Der Mann zog María hinter den Stein zurück und kam wieder hervor. Jetzt sah Allmen, dass er ebenfalls eine Waffe trug. Sie steckte in seinem Hosenbund.
    Er kam näher, sah auf das Bild, und sein Gesichtsausdruck wurde noch stumpfsinniger.
    » Vieni qua! Hier,

Weitere Kostenlose Bücher