Alphacode Höhenflug
erlebt, daß jemand in so kurzer Zeit und derart stark eine Erinnerung in sein tiefstes Unterbewußtsein verbannt hatte. In diesem Fall war es geschehen. Wahrscheinlich hatte der Mann einen triftigen Grund für sein Verhalten.
»Wo ist Katsun?« sprach Amonskij das Mädchen an, nachdem er es eine Zeitlang unentwegt angesehen hatte.
Sie hob den Kopf und schaute ihn an.
An der Art ihrer Bewegung erkannte ich, daß sie unter Drogeneinfluß stand. Sie hatte sich gewaltsam betäubt, um irgend etwas zu vergessen.
»Na?« drängte Amonskij. »Wo ist er?«
Das Mädchen stand auf und drehte sich. Das weite Kleid schwang um sie herum wie ein Nebel. Ich achtete besonders intensiv auf ihre Augen; auf den starren Blick, der weder Amonskij noch die Umgebung bewußt wahrnahm.
Dann ließ sie sich ins Wasser fallen.
Amonskij stieß eine Verwünschung aus und sprang sofort hinterher. Mit zwei Stößen seiner muskulösen Arme hatte er sie erreicht.
»Schnell«, sagte ich zu dem Kleinen. »Ins Haus!«
Als wir losrannten, vernahmen wir Amonskijs Ruf. Er wollte, daß wir auf ihn warteten.
Hannibal und ich verstanden uns ohne Worte. Ich eilte zum Verandaeingang, während er mit gezogener Waffe zum Seitenfenster lief, um mir von dort aus eventuell Feuerschutz geben zu können. Die große Verandatür war nur angelehnt. Ich stieß sie auf.
Ein Geruch wie nach Moder stieg mir in die Nase, aber ich konnte nicht feststellen, woher er kam.
Plötzlich spürte ich die Gedanken eines Mannes und eines Kindes. Der Mann litt unsagbare Schmerzen; das Kind war ängstlich und verwirrt.
Ich gab Utan ein Zeichen. Er verstand meine Geste und folgte mir.
Vom Personal war niemand anwesend. Wahrscheinlich wurde es abends nach Hause geschickt.
Ich durchquerte den mit schweren Ledermöbeln eingerichteten Wohnraum und erreichte die Bibliothek. Der Geruch, den ich beim Eintreten wahrgenommen hatte, gewann an Intensität. Ich hielt die Thermonitalwaffe in den Händen.
In der Bibliothek lag ein Mann am Boden. Es war Katsun. Er sah merkwürdig aus; wie ein schlecht gefüllter Sandsack.
Blitzartig durchschaute ich den Grund: Seine Gliedmaßen und sein Brustkasten waren gebrochen, der Körper besaß keinen Halt mehr. Zu meinem Erstaunen waren keine Anzeichen von äußerer Gewaltanwendung festzustellen.
Katsun atmete noch schwach, aber mir war klar, daß er in diesem Zustand keine Überlebenschance hatte.
Neben Katsun kniete ein etwa sechsjähriger Junge.
»Papa hat Schmerzen. Er ist verletzt.«
Das Kind hatte geweint. Auf seinem Gesicht entdeckte ich Spuren von bereits getrockneten Tränen.
›Bring es weg‹, sagte ich auf telepathischer Ebene zu Hannibal, der kurz nach mir hereingekommen war.
Als der Kleine den Jungen aus dem Zimmer führen wollte, sträubte er sich und sagte: »Die schönen Blumen!«
Ich blickte mich um. Überall waren Töpfe, Schalen und Vasen aufgestellt. Von dort kam der Modergeruch.
Alle Blumen im Haus waren verfault.
*
Katsun starb auf dem Flug in die Spezialklinik des GAS. Er hatte keine Aussage mehr machen können. Auch die Befragung des Kindes ergab nichts, was uns weitergeholfen hätte. Es wurde zu seiner Mutter nach Tokio gebracht. Sie lebte von ihrem Mann getrennt.
Das Mädchen und der Mann, die wir am Schwimmbassin in Katsuns Garten getroffen hatten, standen unter schwerer Schockeinwirkung und mußten in eine psychiatrische Klinik überwiesen werden. Sie waren Gäste des TARKAI-Präsidenten gewesen.
Das Personal wurde verhört, doch ergebnislos. Wir fanden keine Anhaltspunkte.
Wir überließen es dem GAS-Geheimdienst, sich weiter um die Angelegenheit zu kümmern, denn die Einzelheiten waren für uns nicht interessant.
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