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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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Jahrzehnte ins Zuchthaus brachte. Der hatte ihn zum Opfer degradiert, wehrlos gemacht. Er schämte sich, war er doch wie ein richtiger Don Quichote gegen Windmühlen geritten, nur war hier Sancho Pansa kein treuer Freund. Aber wenigstens habe ich was getan, sagte er sich und weiß, warum ich hier bin. Der Schaden, den ich angerichtet habe, ist jedenfalls nicht unbeträchtlich. Und so richtete er sich wieder auf. Das Versteckspielen wie bisher war jetzt unnötig geworden. Von sich aus würde er natürlich weiterhin nichts erzählen.
    Als der Major mit dem Zivilisten den Raum wieder verlassen hatte, begann der Hauptmann ihn erneut mit Fragen zu bombardieren und so faßte Sebastian einen Entschluß, von dem er nicht sicher war, ob er akzeptiert werden würde. „Wenn der Sasse“, wandte er sich an den Hauptmann, „sowieso alles erzählt hat, könnten wir doch gleich dabei bleiben. Sie lesen mir vor, was der ausgesagt hat und ich bestätige es oder bestreite manches vielleicht auch, denn der muß ja nicht immer bei der Wahrheit oder richtiger den Tatsachen geblieben sein.“ Er wußte ja, daß nur noch zu retten war, was der einstige Freund von sich aus nicht ausgesagt hatte, im Vertrauen darauf, daß er, Sebastian, das in den Verhören auch nicht tun würde.
    Nicht im Westen war also das Leck gewesen, vielmehr befand es sich in allernächster Nähe. Schließlich mußte ja die Stasi nicht nachweisen, daß Sasses Aussagen auf Tatsachen beruhten, sondern er hatte von Fall zu Fall das Gegenteil zu beweisen, nämlich dessen Behauptungen als Lügen zu entlarven. Wie aber sollte das gehen? Raus komme ich hier sowieso nicht mehr, sagte er sich.
    Als der Hauptmann sich zu Sebastians Überraschung auf dessen Vorschlag einließ hatte er plötzlich Zeit auf seinem Hocker, während der Vernehmer am Schreibtisch damit beschäftigt war Sasses Aussagen so umzuformulieren, daß sie sich wie die des Häftlings Sebaldt anhörten. Das dunkle Rollo war nicht vors Fenster gezogen, so daß Sebastian in den grauen Himmel blicken und auf einem Stück Dach Schnee erkennen konnte.
    Die kuriose Art des Verhörs ging weiter, zog sich hin. Der Hauptmann beeilte sich dabei nicht sonderlich. Manchmal wurde Sebastian tagelang nicht geholt, dann aber wieder mehrmals hintereinander. Eines Tages hörte er in seiner Zelle fern aus der Stadt verzerrte Musik herüberwehen. Das kann, meinte er, nur irgendwas mit Fasching zu tun haben, vielleicht der Rosenmontagsumzug. Irgendwann bemerkte er in seinem Zellenschacht auch, daß es draußen Frühling geworden war. Er erkannte es bei schönem Wetter am veränderten Einfall des Lichts. Der Blick aus dem Vernehmerzimmer allerdings traf nur auf kahle Mauern.
    Dann wurde er wieder einmal in eine andere Zelle umgelegt, in der ihn ein Geruch wie nach gesäuertem Brot empfing, der vor allem von verranzten Matratzen und klebrigen Decken ausging. Er selbst hatte bisher nicht ein einziges Mal baden oder auch nur duschen können. Seine verschwitzten Sachen konnte er nicht wechseln und es gab weder einen Friseur, noch konnte er sich rasieren, kein Zähneputzen, keine Seife… Der grindige Ausschlag über der Nasenwurzel und um die Mundwinkel hatte sich ausgebreitet, er konnte es fühlen. Auf seinem Kinn wuchsen sich zentimeterlange Stoppeln zu einem schütteren dunkelblonden Bart aus. Die Haare auf der Oberlippe strich er seitwärts und zwirbelte die Enden zusammen. Die Ohren waren inzwischen unterm immer schon lang getragenen Haar verschwunden, das er sich jetzt im Nacken zu einem dürftigen Pferdeschwanz hätte binden können. Zum Glück, meinte er, war er bisher nicht krank geworden. Nur manchmal überfiel ihn Trauer, wenn er an die Zukunft dachte, Trauer, die aber immer bald wieder in Ärger, später auch noch in Trotz umschlug.
    Eines Tages erschien ein Neuer in seiner Zelle, etwas älter als er, der mit seinem Eintritt sogleich eine unbekümmerte Fröhlichkeit mitbrachte und Sebastian damit einigermaßen verblüffte. Wo kam der denn her?
    „Manfred Nickisch“, stellte er sich vor.
    „Wo kommst du denn her“, wollte Sebastian wissen.
    „Weiter unten“, sagte der Neue und wies mit dem Daumen zum Zellenboden, „Nummer 86.“
    „Ich meinte eigentlich, woher von draußen…“
    „Ach so.“ Der Neue lachte. „Aus Spremberg“, sagte er dann.
    „He, ganz aus meiner Nähe“, und Sebastian setzte sich auf den Pritschenrand. „Ich bin aus Großräschen.“
    „Ist nicht so weit nach Spremberg, stellte Manfred

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